“Ich muss dir etwas verrücktes sagen”, beginne ich vorsichtig. Ich habe ein wenig Angst, dass sie es vielleicht nicht verstehen könnte, oder ich es mal wieder nicht schaffe, mich verständlich auszudrücken. Aber wie wir hier so sitzen, am Meer, den Sonnenuntergang vor Augen, glaube ich, dass ich gerade das richtige Gefühl in mir trage, um es richtig auszusprechen. Also.
“Ich glaube ich habe ihm verziehen.”

Ich glaube, ich habe verziehen. Ich habe viel nachgedacht in letzter Zeit, über das, was vor fast zwei Jahren passiert ist. Ich hatte mich damals in jemanden Hals über Kopf verliebt, der mich ein halbes Jahr lang durch die Hölle hat gehen lassen. Ich wurde täglich belogen und auf eine Art und Weise hintergangen, die eigentlich schon Filmreif war. Er wohnte in einer anderen Stadt und konnte mich nur an manchen Wochenenden besuchen. Jeden Sonntag, wenn wir gemeinsam seine Zugtickets zurück buchten und ich ihn schweren Herzens in die U-Bahn setzte, fuhr er nur selten zum Hauptbahnhof – sondern meistens zu einer Anderen, nicht weit von mir Daheim. Er war ein Mensch, der es gewohnt war, zu lügen. In kleinen sowie großen Dingen. Er war ein großer Redner, ein Unterhalter und toller Geschichtenerzähler. Dass all seine so großartigen Erlebnisse so gut wie nie geschehen waren wusste niemand. Alltagslüge hier und da, große Lügen hier und da, und am Ende konstruierte er sich sein eigenes, schillerndes Bild von sich selbst. Ich glaubte ihm alles.
Wenn er sich mal wieder tagelang nicht meldete erzählte er meistens, er sei wieder im Krankenhaus oder schrecklich depressiv, obwohl er nur tagelang bei der Anderen, gleich hier um die Ecke schlief. Ich verbrachte schlaflose Nächste damit, Krankenhäuser abzutelefonieren, endlose unbeantwortete Nachrichten zu schreiben, und jedes mal wieder stand er vollkommen überzeugend vor mir, mit der besten Ausrede, mit dem ehrlichsten Liebesgeständnis. Er schaffte es sogar, dass ich letztendlich immer nur auf mich selbst wütend war. Denn wie kann man auf jemanden wütend sein, der schrecklich krank ist?
Als ich es schließlich schaffte mich davon zu lösen, weil ich den Schmerz, die Sorgen und die ständige Unwissenheit nicht mehr ertragen konnte, fühlte ich mich, als hätte ich ihn zurückgelassen in seiner Depression, in seinem körperlichen Leiden. Als hätte ich aufgegeben. Als wäre ich ein fürchterlich egoistischer Mensch Es war grausam. Die Zeit währenddessen und die Monate danach.
Ein halbes Jahr später kontaktierte mich das andere Mädchen, und gemeinsam fanden wir heraus, was geschehen war – sie genau so unwissend wie ich, sie noch mehr verletzt als ich. Und auch ein drittes Mädchen gab es bereits, ein Drittes, mit der er das Zweite betrog. Auch das Dritte Mädchen meldete sich irgendwann verzweifelt über sein seltsames Verhalten bei mir, und obwohl ich eigentlich nicht mehr in die Sache involviert war, besuchte ich sie in Frankfurt und wir verbrachten einen wunderbaren Nachmittag miteinander. Geteiltes Lied ist eben halbes Leid. Zu dieser Zeit – bereits ein ganzes Jahr nachdem ich mich getrennt hatte – hasste ich ihn immer noch aus tiefsten Herzen. Ich konnte mir nicht vorstellen, ihn jemals nicht mehr zu hassen, ihm jemals ehrlich verzeihen zu können für das, was er mir, was er all den anderen angetan hatte. In meinen Augen war er ein durch und durch schlechter Mensch, jemand, der es niemals verdient hätte ehrlich geliebt zu werden, jemand, dem ich wünschte, er würde sein Leben lang ebenso leiden wie wir drei in unseren Zeiten mit ihm.

Dass ich ihm heute, zwei Jahre später, tatsächlich vergeben habe, war ein langer Weg. Ein unbewusster Weg allerdings, etwas, was einfach so passierte – etwas, was mir nur irgendwann plötzlich auffiel.
Das erste mal bewusst wurde es mir, als ich gemeinsam mit Chrissy den “Jetzt Buchen”-Button drückte, der uns Monate Später nach Hawaii bringen sollte. Ich hatte gerade eine weitere Trennung hinter mir und fuhr zu ihr nach Aschaffenburg, weil ich meine beste Freundin ganz dringen um mich haben wollte. Wir saßen auf dem Sofa und ich merkte an dieser für mich damals krassen Entscheidung, wie sehr ich doch mit Chrissy zusammengewachsen war. Vor allem im Jahr davor. Vor allem durch diese schreckliche Sache. Ich dachte zurück an unsere gemeinsame Zeit, als sie jedes Wochenende bei mir schlief, wir die Nächte durchmachten und feierten als gäbe es den Morgen sowieso nicht. Ich erinnerte mich, wie ich mich aus dieser Extremsituation heraus neu verliebte und daraus lernte, dass eine Beziehung, die nur auf “brauchen” basiert, keine Zukunft hat. Alles, was geschehen war, jeder Schmerz und jede Verzweiflung, hatte mich näher zu meiner Freundin gebracht und näher zu mir selbst. Ich wusste dadurch nun endlich, dass ich eigentlich nur mich selbst lieben sollte. Alles hatte seinen Sinn, nichts hätte ich ändern können, nichts hätte ich anders machen wollen. Jede verdammte Sekunden dieser verlogenen Beziehung war wichtig für mich und meinen Weg, all das führte dazu, dass ich nun dort saß und die Kraft hatte auf diesen Button zu klicken. Letztendlich kann ich sagen, dass die ganze Misere mich zu eben diesem Sonnenuntergang geführt hatte, denn ohne all das, wäre ich nicht dort gewesen. Und in dem Moment, als ich all das realisierte, empfand ich schon fast so etwas wie Dankbarkeit – jedoch paarte sich diese Dankbarkeit immer noch mit einer guten Portion Groll.

Aber ich wusste, ich hatte einen Schritt getan. Irgendeinen Schritt. Dass es mit ehrlicher Vergebung zutun hatte war mir damals noch nicht klar, heute weiß ich es besser.


 

Hier geht es zum nächsten Teil <3

 

 


 

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