Ich möchte den einen, der immer für mich da ist. Der sich meine Probleme anhört, Tag und Nacht, und immer weiß, wie er mich trösten kann. Der, mit dem ich gemeinsam auf die Party komme – und wieder gehe. Ich möchte den, den ich meinen Eltern vorstellen kann, der sich natürlich mit all meinen Freunden bestens versteht und mich ab und an bekocht. Ich will einen, mit dem ich reden kann, die ganze Nacht, den ganzen Tag. Ich möchte mit ihm meine Lieblingsserien gucken, bis in die Morgenstunden Tanzen gehen oder den ganzen Tag über schreiben, wenn wir nicht zusammen sein können. Ich möchte den einen, der mich verteidigt, in dessen Armen ich mich geborgen und sicher fühle, ich möchte den, der mir noch etwas beibringen kann. Von dem ich lernen kann, zu dem ich Aufsehen kann. Der, der mir immer wieder sagt, dass er mich schön findet und mir das Gefühl gibt, ich sei besonders. Anders. Der, für den ich die Einzige bin, dem ich genüge, von jetzt auf immer. Ich will eben den einen, der perfekt für mich ist und mir all das geben kann, was ich wünsche.

Alles.

Wie pseudoromantisch das klingt. Wie die Worte eines kleinen Mädchens, gezeichnet von Hollywood-Romanzen und den vielen, endlos langen Gesprächen mit den besten Freundinnen über die große Liebe.
Wie oft ich schon dasaß mit Freundin a), die sich beschwert, weil ihr Freund noch weiter feiern, und sie schon längst nach Hause will. Sie sagt, sie fühle sich ungeliebt, vernachlässigt, weil sie zu der Sekunde, in der sie heim möchte, nicht an erster Stelle steht. Weil er lieber mit seinen Kumpels noch ein bisschen abhängen will, anstatt mit ihr im Bett zu liegen, denn das sollte ja wohl das Wichtigste sein.
Oder Freundin b), dessen Freund irgendwie nie die Richtigen Worte findet, um sie zu trösten. Und sie denkt jetzt, er sei nicht der Richtige, denn er muss doch ihre Person sein, derjenige, der ihr immer ein Lächeln auf die Lippen zaubern kann.
Daneben sitzt Freundin c), ihr Freund kifft am Wochenende mal gerne einen, und weil Kiffen scheisse ist und er es für sie nicht aufgeben möchte denkt sie nun, er sei nicht der Richtige. Sie sollte ja wohl wichtiger sein.
Freundin d) stört es, dass ihr Typ ihre Beste nicht leiden kann und immer so sozial inkompetent scheint, wenn sie ihn zu ihren Freunden mitnimmt. Sie will lieber einen, den alle lieben.

Ich war selbst mal Freundin a).
Oh, und Freundin b) und c). Okay, ich war auch mal Freundin d). Jedes mal wieder, wenn ich mich in die nächste, komplizierte, aufregende Liebesbeziehung stürzte gab es irgendwo irgendwann etwas, was mich störte. Und jedes mal wieder kam ich zu dem Schluss, dass es dann eben nicht der Richtige ist. Richtig kann doch nur der sein, der alles hat. Ich muss diese eine Person im Leben finden, die wie für mich gemacht ist, “the one” eben – ihr kennt ihn doch auch. Die Derek Sheperds, Chuck Basses (Bassis?), und Mister Bigs dieser Welt. Und ich fragte mich so oft, wo er denn bleibt, dieser Eine.

Und dann, dann traf ich eines Tages ein Pärchen, mit dem ich viel Zeit verbrachte, weil sie meine Freundin wurde und er ein echt cooler Typ war. Die beiden hingen immer zusammen aber dennoch nicht aufeinander. Wir kannten uns noch nicht lange, als sie fragte, ob ihr Freund eigentlich mein Typ wäre (ich war zu der Zeit gerade mal wieder single, hatte Freund b) oder so was hinter mit gelassen). Ich wusste nicht so recht, wie ich darauf antworten sollte, ich kannte sie doch erst so kurz. Auf die Frage, warum sie das wissen wolle, antwortete sie: “Ich weiß, dass er dich gut findet. Wir sprechen über sowas, weißt du” – und irgendwas in ihrem Gesichtsausdruck sagte mir, dass hier keine Eifersucht im Spiel war. Also dachte ich kurz nach und stellte mir vor, wie ich ihren Freund denn finden würde, hätte ich ihn nicht als “ihren Freund” kennengelernt. Ich sagte ihr, dass er eigentlich schon mein Typ wäre, so rein theoretisch. Wir haben eben den gleichen Männergeschmack. Sie grinste mich an. “Das freut ihn bestimmt”, sagte sie, und im gleichen Atemzug schlug sie mir vor, ihn mal zu küssen. Er sei ein guter Küsser und ich würde mich doch sicher ablenken wollen, nach der schweren Trennung.
Ich war so verdattert, dass ich erstmal schwieg. Heidenei, wo war ich da denn reingeraten. Wie kann es ihr denn egal sein, wenn ihr Freund eine Andere küsst? Hat sie dann nicht das Gefühl, nicht genug zu sein? Ihr Freund spricht mit ihr darüber, welche Mädchen er gut findet – und dann auch noch mich, die Freundin seiner Partnerin? Wie verkorkst ist das denn bitte? Was ist das denn für eine Beziehung, wenn man sich nicht treu sein kann?
Und dann sagte sie etwas, was meinen bisherigen Blick auf dieses ganze “The One”-Gequatsche und alle meine vergangenen Beziehungen grundlegend änderte: “Wir sind uns treu. Treuer als viele andere Pärchen. Wir sind ehrlich zueinander, Fremdgehen und Untreue haben nichts damit zutun, mal jemand anderen gut zu finden. Untreue beginnt dann, wenn man über diese Dinge schweigt – und dann eben lügt. Wir haben uns noch niemals angelogen. Ich glaube, dass Untreue oft entsteht, weil man eben nicht so ehrlich sein kann – und weil die Freiheit, etwas zu tun, oft schon reicht, um es gar nicht mehr tun zu müssen. Wir erlauben uns gegenseitig – und gerade deshalb passiert es so gut wie nie.”

Ich dachte lang über ihre Worte nach. Ich beobachtete die beiden und mir fiel immer wieder auf, wie glücklich sie wirkten. Und das obwohl sie so gar nicht meiner Vorstellung von einer perfekten Beziehung entsprachen, wenn man mal hinter die Fassade blickte. Es war ganz offensichtlich, dass sie ihm nicht alles geben konnte, was er sich wünschte und er ihr nicht alles geben konnte, was sie sich wünschte – aber es trotzdem mehr als genug war um sich zu lieben. Und es schien so, als hätten sie das akzeptiert.

Vielleicht gibt es nicht “die eine” Person auf dieser Welt, die mir alles geben kann. “Alles”, so ein überdimensional großes, nichtmal wirklich definierbares Wort. Habe ich bisher vielleicht nur die Fassade einer perfekten Beziehung gesehen, wenn ich sie von Außen betrachtete? Versteckte sich hinter einer langen, funktionierenden Partnerschaft schon immer diese Akzeptanz, dass “Alles” einfach zu viel ist?
Vielleicht muss ich endlich das, was ich mir wünsche, aufteilen. Was macht es schon, wenn ich mal allein nach Hause fahren muss, wenn mein Partner gerade so viel Spaß hat mit seinen Kumpels? Den Spaß, den er mit seinen Freunden hat kann er nicht mit mir haben. Na und? Will ich denn, dass wir nur noch und ausschließlich einander brauchen? Wieso zur Hölle bin ich eigentlich mal sauer gewesen, dass mein Typ (hier: a)) die ganze Nacht lang lieber auf ‘ner Konsole zockt, als mit mir zu lovey-dovey’n? Es geht doch nicht immer nur um mich. Ich wurde doch nicht weniger geliebt, nur weil es in seinem Leben Zeiten gab, die er lieber mit anderen verbrachte, als mit mir.
Und was ist mit dem, der nicht die Richtigen Worte fand, um mich zu trösten? Er hatten eben nicht immer eine Lebensweisheit parat. Meine Freundin Christina dafür aber. Mir hätten seine Umarmungen genügen müssen, eigentlich.
Und ach, der Kiffer. Nur weil ich damit nichts anfangen kann muss ich es ihm ja nicht verbieten, solange er sein Leben auf die Reihe kriegt. Wieso dachte ich gleich, ich sei ihm nichts Wert, nur weil er seine Lieblings-Samstags-Beschäftigung mit seinen Dudes nicht aufgeben wollte?
Selbst Freund d) konnte ich mit meinem neuen Blickwinkel verzeihen. Wir waren Grund verschieden, natürlich kann er mit meinen Freunden nicht so viel anfangen – andere Welt, andere Interessen, nur unsere Wege hatten sich zufällig gekreuzt und eben diese Gegensätze zogen uns an. Aber Gegensätze ziehen sich eben nicht mit jedem und überall an – manchmal findet man sich dann auch einfach scheisse.

Ich sage nicht, dass eine offene Beziehung die Lösung all meiner Probleme ist – aber vielleicht ein Ansatz für viele andere Pärchen. Ich sage “offene Beziehung”, obwohl es auch eigentlich der Falsche Begriff dafür ist – es gibt nur noch kein neues, innovatives Wort für dieses Beziehungsmodell. Vielleicht führt die neue Generation keine “Beziehungen” mehr, sondern ein “Vertrauen”. Ich glaube daran, dass du mich liebst, auch wenn ich dir nicht alles geben kann. Ich vertraue dir so sehr, dass ich es sogar aussprechen darf, wenn ich den Nervenkitzel vermisse oder mir mal wieder Honig um’s Maul schmieren lassen möchte. Und das heißt nicht, dass ich dich weniger liebe. Da draußen gibt es so viele Pärchen, die sich über die Jahre weg langweilen, weil der “Kick” fehlt – und dann ihre ganze Beziehung aufs Spiel setzen, weil sie anfangen zu lügen.

Ach, all das klingt so logisch und einleuchtend, aber einfach ist es sicher nicht. Man muss ja nicht gleich von “Beziehung” zu “Vertrauen” hüpfen, aber mal darüber nachdenken. Es in Erwägung ziehen. Auf sexueller Ebene stelle ich mir die Sache ganz schön kompliziert vor – eine Bett-Fantasie mit jemand anderem als dem Partner zu teilen, weil eben diese Fantasie für den Partner ganz und gar nicht in Frage kommt, beispielsweise… das ist ein harter Schritt, weil immer Gefühle mitspielen könnten. Aber zu akzeptieren, dass ein einziger Mensch dir zumindest Gefühlsmäßig nicht “alles” geben kann, ist ein guter Anfang. Für mich klappt das momentan zumindest ganz wunderbar.

Und falls ihr euch jetzt fragt, ob sie den Freund ihrer Freundin knutschte: Yes, she did.
Und es war okay – und bis heute niemals Thema. ;)