ich widme ihnen heute einen Blogpost. Ich schreibe keinen wirklichen Brief, weil ich dafür viel zu feige bin, und auf ein persönliches Gespräch habe ich eigentlich auch keine Lust – also verstecke ich mich hinter meinem Onlinetagebuch, mit der leisen Hoffnung, dass sie irgendwann mal beim benutzen eines Computers über meine Seite stolpern und diese Zeilen lesen.

Schrauben wir die Zeit einmal zwei Jahre zurück. Ich war damals um die dreiundzwanzig, mein neuer Mitbewohner zog gerade bei mir ein und die Wohnung, in der sie heute ihr Unwesen treiben stand damals noch leer. Zu dieser Zeit musste ich neben meinem Studium noch kellnern, drei Mal die Woche arbeitete ich bis ca. zwei Uhr Morgens, an den Wochenende teilweise bis vier, weil die Gastronomie das einzige war, wo ich dank Trinkgeld genug verdienen konnte um mich hier in München über Wasser zu halten. Ihr Sohn (ich nehme an, dass es ihr Sohn ist – denn solch ein Verhalten muss einfach in der Familie liegen) beschloss zu damals, ihre Wohnung, die gleich an mein und Benis Schlafzimmer grenzte, eigenhändig von Grund auf zu sanieren. Manchmal kam er unter der Woche, meistens aber an den Samstagen.
Ich möchte, dass sie sich folgende Situation Bildlich vorstellen: Ich bin vor ca. vier Stunden totmüde ins Bett gefallen, nach einer zwölf Stunden Schicht und werde um Punkt 8 Uhr Morgens geweckt. Nicht von einem Hämmern oder Kratzen, sondern von einem so ohrenbetäubenden Lärm, dass ich vor Schreck kerzengerade im Bett sitze, mir die Ohren zuhalte und trotzdem noch nicht weiß, wo ich eigentlich bin. Aus Verzweiflung, dem Lärm entkommen zu wollen, renne ich erst in meine Küche – immer noch zu laut – dann in mein Badezimmer – ich verstehe die Welt nicht – bis ich schließlich im Schlafanzug auf die Straße raus laufe. Da stehe ich dann, mir ist eiskalt und ich komme langsam zu mir, der Lärm beschallt die gesamte Nachbarschaft. Hier draußen aber ist er nur halb so schlimm, meine Wohnung fungiert offensichtlich als eine Art Resonanzkörper. Ich laufe Barfuß ein paar Schritte und spähe durchs Nachbarfenster und sehe ihrem Sohn zu, wie er – so ziemlich genau am Kopfende meines Bettes – die gesamte Wand bis auf die Ziegel mit irgendeinem schweren Gerät runterreißt. Gott sei Dank habe ich immer Ohropax Daheim und so wandere ich die nächsten vier Stunden halb taub durch meine Wohnung, sogar meine Katze hat schon reißaus genommen. Um Punkt 12 Uhr ist der Lärm vorbei, Mittagsruhe. Mittlerweile bin ich zwar immer noch übermüdet, habe mich aber wenigstens schon angezogen. Ich laufe rüber und klingle an der Tür. Mir öffnet ein Mann in Arbeitskleidung und Mundschutz, was ihn irgendwie bedrohlich aussehen lässt, ich stelle mich freundlich vor als Nachbarin hinter der Wand und frage, ob es möglich wäre, mir in Zukunft bescheid zu geben, wenn er wieder zum Renovieren kommen würde. Ich biete ihm an, meine Handynummer dazulassen. Als Antwort bekomme ich ein “Dazu bin ich nicht verpflichtet”, und die Tür wird wieder geschlossen. Ich stehe mit offenem Mund vor der geschlossenen Tür und bin von der unhöflichen, schroffen Antwort so verwirrt, dass ich mich nicht einmal mehr traue noch einmal zu Klingeln und ordentlich Stunk zu machen. Um Punkt 15 Uhr geht der Lärm weiter.

Über die zwei Jahre hinweg, die ihr Sohn mich zwei mal die Woche aus dem Schlaf riss, haben weder mein Mitbewohner noch ich es geschafft, ihn zu ein bisschen Nachbarschaftlichkeit zu überzeugen, und so wich ich regelmäßig aus, um woanders für die Uni zu lernen. Ich wäre gerne auch zum Ausschlafen mal ausgewichen, aber mir hat ja nie jemand bescheid gesagt, weil man “dazu ja nicht verpflichtet ist”. Also hielten wir es ganz einfach aus, irgendwann musste diese verdammte Wohnung ja mal fertig werden. Und vor ca. einem halben Jahr wurde sie das auch – und sie bezogen ihre neuen vier Wände.

Zur gleichen Zeit zog auch mein neuer Mitbewohner bei mir ein. Wir schmissen keine große Einweihnungparty, luden aber ein paar Freunde ein, um mit Bier und Wein auf Ludis Einzig anzustoßen. Am nächsten Tag standen sie vor der Tür, eine mir bis dato fremde Person, total aufgelöst wegen dem ohrenbetäubendem (!) Lärm, den wir gestern Abend veranstatete hätten. Sie drohten mir mit der Polizei, ich entschuldigte mich hundert mal und gab ihnen sogar meine Handynummer – damit sie in Zukunft einfach anrufen könnten, wenn die Musik zu laut ist.

Gestern dann, an einem Freitag Abend, stand auf einmal tatsächlich die Polizei vor der Tür. Es war 23 Uhr und wir zogen uns gerade an um in die Stadt aufzubrechen. Wir waren zu 5., saßen in Ludwigs Zimmer, die Musik nur so laut, dass wir uns unterhalten konnten. So, wie wir es schon immer machen, seit 5 Jahren die ich hier bereits wohne – in denen sich noch niemals ein Nachbar über uns beschwert hat. Und ihre Wohnung ist nicht die Einzige, die direkt an unsere grenzt. Die Beamten sagten uns freundlich, dass wir ab jetzt leiser sein müssen. Ich frage mich, ob die beiden Polizisten sich nicht gewundert haben, von was für einem “Lärm” sie denn sprechen.

Ich weiß nicht, ob sie sich mein gefühlsmäßiges Dilemma vorstellen können. Ich kenne meine nächsten Nachbar alle sehr gut, ich nehme den Müll vom Herren neben uns regelmäßig mit raus, trage die Einkaufe vom Pärchen über uns nach oben wann immer sie klingeln und nehme die Pakete für das ganze Haus an. Ich habe zwei Jahre lang damit gelebt, in meiner eigenen Wohnung regelmäßig nicht schlafen oder lernen zu können – und nun soll ich keine Leute mehr zu mir einladen dürfen, wenn wir am Wochenende ausgehen? Wir schmeissen hier keine Parties, liebe Frau Nachbarin, das haben wir noch niemals getan, wir hören lediglich Musik und trinken ein, zwei Bier. Ich kann mir ihr Verhalten einfach nicht erklären. Ist ihnen langweilig? Möchten sie uns rausekeln? Habe ich ihnen oder ihrem Sohn irgendwann mal persönlich etwas angetan? Wieso können sie nicht meine Nummer wählen, wenn wir offensichlicht “zu laut” sind? Wieso warten sie lieber, bis die Ruhezeit anfängt, um die Polizei zu schicken – meinen sie nicht, der “Lärm” wäre viel schneller vorbei, wenn sie einfach MEINE Nummer wählen würden, anstatt die der Polizei? Mir zeigt so ein Verhalten nur, dass sie offensichtlich richtig bock haben auf Stress. Bock auf Meckern, bock den “jungen Leuten” zu zeigen, wie’s läuft.

Meine Eltern haben mir beigebracht, einandern zu respektieren und selbst mal zurück zu stecken, um den Frieden zu wahren. Wenn mich jemand darum bittet, eine Zettel an die Haustüre zu kleben mit den Worten “Die Renovierungsarbeiten gehen weiter am ____”, dann tue ich das, aus Nächstenliebe. Solche Werte haben sie ihrem Sohn offensichtlich niemals vermittelt, und der Apfel fällt ja bekanntlich nicht weit vom Stamm. Wenn sie mich auch nur einmal angerufen hätten, ich hätte die Musik (noch) leiser gedreht und meine Gäste gebeten, sich leiser zu unterhalten. Auch wenn ich wohl nicht verstanden hätte, wie fünf Menschen so laut sein können, dass es sie am Wochenende um 22 Uhr schon um den Schlaf bringt. Auch wenn ich immer im Hinterkopf gehabt hätte, wie ich den Sonntag regelmäßig verschlafen habe, weil ich nach meiner Arbeit am Samstag keinen finden konnte.

Was soll ich tun, liebe Nachbarin? Keine Freunde mehr zu mir einladen? Hat ihr Sohn es denn einmal zustande gebracht, ein paar Worte auf einen Zettel zu schreiben, oder gar eine SMS?

Ich habe einen Vorschlag: Seien sie nicht so verbittert. Mein Mitbewohner und ich, wir sind zwei sehr hilfsbereite, rücksichtsvolle Menschen und viele unserer Nachbarn sind sehr froh darüber, dass wir hier wohnen. Schade, dass sie es nicht sind.

 

Grüße von Drüben,

 

Angela

 

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