Obwohl die Sonne schon seit Stunden durch das Fenster scheint ist sie nicht aufgewacht. Sie wacht immer auf sobald sich die Augenlider orange färben. Der Versuch eben diese zu öffnen scheitert an einem fürchterlichen brennen, ein Stechen kriecht vom Kopf bishin in ihre Brust und zwingt ihren Körper zurück in die Embryostellung aus der sie eben erst erwacht ist. Fest drückt sie die Knie an ihre Brust, hält sich selbst fest, weil es ab heute sonst keiner mehr tut.

Weil es ab heute keiner mehr tut.
Kurz hatte sie geglaubt, sie habe gestern Abend Tränen für die nächsten zehn Jahr vergossen, als ihr wieder die Bilder in den Kopf schießen, gestochen scharf, auf play und repeat.

Das flimmernde Licht vom lautlosen Fernseher lässt nur seine Silhouette in der Dunkelheit erkennen, er steht mitten im Raum, unfähig sich zu bewegen. Unfähig zu sprechen. Jahrelang hatte sie sein Herz laut und stark schlagen hören, genau dort in seiner Brust, wo sie ihr Ohr ruhen ließ bis sie einschlief, atmend im Takt seines Herzschlags. So langsam schlug es, und doch so fest. In diesem Augenblick, als sie ihm sagte dass sie ihren Weg in Zukunft ohne ihn gehen möchte, hörte sie es brechen. Einmal, zweimal, dreimal – und mit seinem auch ihres. Der dunkle Raum füllte sich mit verbrauchter Luft, mit unausgesprochenen Worten und dem unerträglichen Schmerz zweier Liebeskranker Vollidioten, die es einfach nicht auf die Reihe kriegen konnten.
Doch wie groß sein Schmerz auch sein mochte, trotz alledem drückte er ein letztes mal vorsichtig ihre Hand und bat sie darum nicht mehr zu weinen. Als er die Tür schließlich hinter sich zuzog verflog seine Aura in ihrem Zimmer, sein Duft wich von ihr und mit ihm ging der beste Freund den sie jemals hatte, der Mensch den sie am besten kannte, der sie liebte mit all ihren Fehlern, jemand der ein gebrochenes Herz nicht verdient hatte.

Je höher die Sonne steigt, desto weniger wird das Schluchzen, desto mehr entspannen sich ihre Gliedmaßen. Sie schnäuzt sich noch einmal kräftig, setzte sich vorsichtig auf und starrt lange Zeit auf die Stelle, an der er gestanden hatte. Eine Kommode, daneben der Schreibtisch. Sie fühlt ihn nicht mehr, seine Jahrelange stille Anwesenheit ist wie weggefegt, verloren auf unbestimmte Zeit – oder wahrscheinlich sogar für immer. Als sie das Fenster öffnet um neben Sonnenstrahlen nun auch Luft reinzulassen versteht sie wieder, warum all das passieren musste. Es ist ihre Luft, ganz allein ihre.

Vielleicht würde sie wieder ein Stückchen davon teilen, an einem T-Shirt schnuppern weil der Geruch so vertraut ist, jemanden in ihr Leben treten lassen mit dem sie sich nur von Luft und Liebe ernähren konnte – aber niemals wieder würde sie sich abhängig machen.

Es war ihre Luft. 

„Do whatever makes you happy.“