Ich reiße das Fenster auf, obwohl ich nicht genau weiss was es helfen sollte. Meine Stimme fängt wieder an zu glucksen wie damals als Kind, wenn ich mir die Knie aufschlug, also zwinge ich mich die kalte Luft von draußen langsam und tief einzusaugen. Ich schließe die Augen. Ruhig. “Gehts dir nicht gut, Tochter?” fragt mein Vater am anderen Ende der Leitung. Ach, was heißt schon nicht gut gehen. Es gibt so Zeiten da gilt eben Murphys Gesetz.

Ich bin mittlerweile eigentlich der Meinung, dass mein Helfersyndrom, meine freundliche Art und mein Bedürfnis nach Harmonie eben genau meine Stärken sind. Dass es eine Tugend ist nett zu bleiben wenn mir jemand ans Bein pisst, dass ich vergeben und vergessen kann und die Gabe habe mich in andere reinzuversetzen. Und das beste daran ist: Es geht von ganz allein. Früher war mir das peinlich, nie die Starke sein zu können. Mann, ich bin echt sowas von null schlagfertig. Meine Mitarbeitsnoten in der Schule waren nicht die besten, ich rede eben nicht gern vor anderen und Diskussionsrunden sind für mich wie der Staubsauger für die Sherry. Schnell weg.
Ich finde einfach nicht die goldene Mitte. Wenn mir auf der Straße jemand einen Flyer andreht nehme ich ihn eigentlich immer an und entsorge ihn erst wenn ich außer Sichtweite bin. Wenn ich von Tierschutzorganisationen angesprochen werde bleibe ich sogar stehen und höre mir alles an (einfach nur um den Leuten ein Erfolgserlebnis zu bieten, damit sie nicht damit aufhören ihre Sache anderen näher zu bringen).

Vor einiger Zeit wurde ich auch mal wieder von den Malteser angesprochen. Der Typ war so charmant, dass ich auch hier stehenblieb. Er fragte mich gerade raus ob ich interesse daran hätte eine Patenschaft für ein Kind zu übernehmen, dass nicht mehr lange zu leben hätte. Eine Art Begleitung, ein Freund für die letzte Zeit. Ohne Spenden, nur mit meiner Anwesenheit und Zuneigung. Ich sagte “ja” ohne zu zögern und trug mich mit E-mailadresse und Namen in eine Liste ein. Er würde mir Infomaterial zuschicken.
Ich hätte das gern gemacht. Wir quatschten noch ein bisschen, schließlich überredet er mich einmalig 5 EUR zu spenden. Ich war zu der Zeit mal ausnahmsweise nicht ganz so knapp bei Kasse und die Malteser sind meines Wissen nach kein Verbrecherverein. Ich gebe ihm also meine Bankdaten. Er versichert mir, dass ich noch einmal einen Anruf bekäme ob ich wirklich spenden möchte.
Einen Monat später werden mir 30€ abgebucht. Das einmalige Spenden belief sich also auf ein halbes Jahr á 5 €. Von der Patenschaft habe ich nie wieder etwas gehört. Außerdem hätte ich meine einmalige Spende auch wieder kündigen müssen – ein halbes Jahr später erfolgte wieder eine Abbuchung, die ich aber diesmal zurückbuchen ließ, weil es sonst mit Futter für mich und Katz den rest des Monats schlecht ausgesehen hätte. Einen Tag später rief ein Mitarbeiter an, ich erklärte ihm, dass ich kein Geld habe und er kündigte meine Spende ohne Probleme. Puh, nochmal Glück gehabt, das nächste mal nicht wieder anquatschen lassen Angela.

Vor ein paar Wochen sprach mich ein Mann am Ostbahnhof an ob ich nicht gerne Jugendlichen ohne Job helfen wolle. Ich müsste dafür eine Zeitschrift abonnieren, die Kids tragen diese dann aus. Ich sagte dem Mann, dass ich leider kein Geld dafür hätte etwas zu abonnieren, er überredete mich aber trotzdem dazu mir einmalig (hier hätte es klingeln sollen) den Spiegel nach Hause bringen zu lassen. Kost ja nur 4€. Ich unterschrieb.
Der Spiegel kam. Und er kam noch mal. Ich stutzte. Zusammen mit dem zweiten Spiegel kam auch die Rechnung über 55€ für den ERSTEN Teil meines JAHRESABOS. Als ich beim Verteiler anrief um mich zu beschweren (ich nahm mir fest vor, ganz furchtbar wütend zu sein) sagte mir die Dame am anderen Ende, dass sie hier meine Unterschrift habe und ich nach dem ersten Spiegel gebrauch vom Wiederrufsrecht hätte machen müssen. Steht alles in meinem Durchschlag (Durchschlag?). Die Wut auf den blöden Idioten am Ostbahnhof schwang auf mich selbst um, die Tatsache dass ich mich mal wieder zu etwas hab überreden lassen schlug mir ziemlich heftig ins Gesicht. Wie kann man nur so naiv sein, so dumm? Wieso kann ich solche Leute nicht einfach ausblenden und vorbeilaufen.. oder: Warum zur Hölle lese ich es mir nicht genau durch? Gerade ich, die wirklich jeden Euro drei mal umdrehen muss sollte doch auf sowas achten.
Die Frau am anderen Ende der Leitung schien Mitleid mit mir zu haben wie ich da rumstammelte und versuchte mich irgendwie rauszureden.. aber meine Stimme war bereits so piepsig dass mich wohl niemand mehr für Voll nahm.

Ich legte auf und starrte aus dem Fenster. Der Spiegel ist eine gute Zeitschrift. Aber woher nehme ich nun diese 55 Euro? Mein Konto ist der Grand Canyon, mein Kühlschrank leer und aus meinem Kleiderschrank wieder alles verkauft was ich hergeben kann. Mal wieder überschlug ich wann ich das nächste mal Geld bekommen würde und muss – mal wieder – feststellen dass es Hinten und Vorne nicht reicht. Meine Mutter hat mich leider irgendwie ziemlich nah am Wasser hingebaut, also fing ich an zu weinen weil ich abermals feststellen musste wie schwer es ist für sich selbst zu sorgen. Vor allem als Gutmensch.

Ich schluckte meinen Stolz runter und wählte die Nummer meines Vaters, und hier sind wir wieder. Ich frage ihn ob er ein Spiegel-Abo möchte und anhand meiner Schluchzerei erkennt er wohl, dass er keine andere Wahl hat als “Ja” zu sagen.

Ich hab dich lieb Papa!

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