Es gibt Dinge, über die zu sprechen es sogar mich Überwindung kostet. Und dabei bin ich doch ganz gut darin, meine Schwächen im Netz preiszugeben. Ich würde hier gerne über so viel mehr schreiben, aber ich bin nunmal nicht anonym. Mein Blog ist für jede Person aus meiner Gegenwart und meiner Vergangenheit lesbar. Egal ob beruflich oder privat. Ich bin ein offenes Buch. Es gibt so viel, was ich euch gerne erzählen würde, aber ich traue mich oft nicht. Es gibt nunmal Dinge, die man nur der besten Freundin erzählt – obwohl sie für die Öffentlichkeit, für euch, vielleicht sehr wichtig wären.

Was ich aber dennoch gelernt habe: Ich kann über Probleme sprechen, die bereits der Vergangenheit angehören. Von Hürden, die ich überwunden habe, kann und will ich immer erzählen. Ganz egal, wer das hier liest. Meine Intuition sagt mir: “Sag es! Irgendjemand wird dir dafür sehr dankbar sein.”
Und sollte es doch Menschen geben, die sich mir überlegen fühlen, weil ich Schwäche zeige – die es belächeln, dass ich im Internet über solche Themen schreibe – dann ist es mir ganz egal. Lieber habe ich am Ende einem einzigen Menschen geholfen, als tausenden eine heile Welt vorgegaukelt. “Ich fühle wie du” ist mir so viel mehr wert als “Ich will so sein wie du”. 

 


 

Unter meinem letzten Post las ich einen ganz wundervollen Kommentar, der mich ins Grübeln brachte. Eine Leserin schrieb: “…ist es nicht trotzdem verrückt, dass wir unser Selbstwertgefühl so sehr aus äußeren Dingen speisen? Dass erst der richtige Job oder der richtige Partner dafür sorgt, dass wir uns nicht mehr als „nutzlos“, „unbegabt“ oder „faul“ ansehen?”
Sie bezog sich auf meinen “Ich kann was”-Podcast, in dem ich erzählte, wie viel Freude ich in meinem neuen Job fand und wie mir die Wertschätzung dort ein Stück weit mehr Selbstbewusstsein gab. Einen Tag später stoß ich auf ein Video von Jens Lehrich. Ich mag seinen Youtube-Channel wegen der vielen schönen und ehrlichen Interviews (dieses habe ich mir bestimmt schon 3x angehört – vielleicht gefällt es euch ja auch). Und ich mag ihn, weil er eine wunderschöne Message an die Welt raussendet. In diesem kurzen Video erzählt er folgendes:

„Nur 10% unseres gesamten Glücksniveaus hängt von äußeren Umständen ab. Eine Zahl aus der Glücksforschung, die einfach belegt, dass wir mit dem, was wir tun, auf dem Holzweg sind.“

Ich fragte mich also: Bin ich auf eben diesem Holzweg? Mache ich mein Glück abhängig von einem Job? Was sind diese 10%? Wovon bin ich in meinem Leben abhängig?

 

Money can’t buy you happiness

Trägt Gled zu meinem persönlichen Glück bei? Nach Außen hin sieht es wohl so aus. Aber Geld macht doch nicht glücklich, sagt man. Oder doch?

Die letzten drei Monate vor meiner Anstellung waren finanziell richtig, richtig anstrengend. Ich hangelte mich von Woche zu Woche irgendwie durch. Verkaufte hier ein altes Objektiv, da ein paar Klamotten. Rücklagen hatte ich keine mehr. Alles, was ich besaß, war der (zu dieser Zeit oftmals einstellige) Betrag auf meinem Konto und die Dinge in meinem Zimmer. Im Supermarkt rechnete ich im Kopf mit, um an der Kasse nicht in eine peinliche Situation zu kommen. Ich ging wieder öfter Containern, ganz einfach, weil ich musste. Ich zahlte drei Monate lang weder meine Stromrechnung, noch die Krankenkasse. Und ganz oft wusste ich eine Woche vor Monatsende nicht, ob ich meine Miete zusammenkratzen konnte. Ich zahlte also nur das, was wirklich bitter nötig war, und hatte bald die ersten, dann die zweiten Mahnungen auf dem Tisch liegen. Erst dann schaffte ich es, sowohl bei meiner Krankenkasse als auch bei meinem Stromanbieter anzurufen. Für mich war das ein unfassbarer Schritt. Zu sagen: “Hallo, ich bin 27 Jahre alt, und kann die Krankenkassenrechnung leider momentan absolut nicht zahlen” ist eine harte Überwindung*. Das hier zu erzählen ebenso.

Aber diese Zeit hat mich unfassbar viel gelehrt. Vielleicht eines der wichtigsten Dinge meines ganzen Lebens: Der Betrag auf meinem Konto ist nicht mein persönlicher Wert. Ich bin nicht dumm, nicht hoffnungslos, nicht unfähig, nur weil ich eine schwierige Zeit durchmache. Im Nachhinein bin ich extrem dankbar für diese Zeit – denn ohne all das wäre ich niemals zu dieser Erkenntnis gekommen.

Aber natürlich bereitete mir dieses Thema immer und immer wieder Bauchschmerzen. Ich war nie traurig darüber, mir keine neue Kleidung, keine neuen Dinge kaufen zu können. Über so etwas denkt man gar nicht nach. Ich habe mir nur oft gewünscht, mal etwas “auslegen” zu können. Oder mal sagen zu können: “Hey, ich lad dich ein!”. In solchen kurzen Momenten, in denen Geld ein Thema war, musste ich regelmäßig schlucken und mir das, was ich gelernt hatte, wieder ins Gedächtnis rufen.

Aber trotz der vielen Bauchschmerzen war ich oft glücklich. Und dieses Glücksgefühl machte ich mir in solchen Momenten besonders bewusst: Wenn ich mit Helena an meinem Küchentisch saß und wir über Gott und die Welt quatschten. Wenn ich meinen Freund die 7 Treppen zu meiner Haustür hochlaufen sah. Wenn ich an der Isar in der Sonne lag, oder jeden Tag, den ich den Nockherberg mit dem Fahrrad runter fuhr. In solchen Momenten war ich glücklich und zufrieden. Im Hier und Jetzt, im Moment, war ich sehr oft sehr glücklich. Und jedes mal, wenn ich dieses Glück verspürte, machte ich mir bewusst, wie krass es ist, dass ich mich so fühlen konnte – trotz all dem Mist rundherum. Ein Gespräch mit einer guten Freundin ist umsonst, immer. Die Sonne auf den Bauch scheinen lassen auch. Die Liebe meines Freundes ist immer da, ganz egal, was um mich herum passiert. Und dieses Gefühl des ehrlichen, echten Glücks würde sich niemals mit dem Betrag auf meinem Konto ändern. Oder mit dem Job, den ich habe. The best things in life are free. 

Wieso aber fiel mit dem neunen Job doch eine Last von mir ab?

Diese kleine finanzielle Sicherheit, so, wie ich sie jetzt habe, macht mich ein Stück weit freier. Freier in jedem Wort, was ich hier auf diesem Blog schreibe. Freier im Kopf, weil ich nun die Möglichkeit habe, voll und ganz da zu sein. Es ist furchtbar erleichternd, zu wissen, dass man einen Arzt aufsuchen kann. Es ist furchtbar erleichternd seine Miete zahlen zu können. Meine Energien gehen nun nicht mehr raus an “wie überlebe ich den nächsten Monat”. Kein Zusammenrechnen mehr, keine Angst vor dem Blick in den Briefkasten. Meine Energien, meine Gedanken, können nun wieder mehr um schöne Dinge kreisen.

Ich bin so unfassbar dankbar für alle Erfahrungen der letzten Monate. Ich weiß jetzt, dass ich ein Überlebenskünstler sein kann, wenn ich muss. Ich bin sogar dankbar für meine Sturheit, mir niemals Geld leihen zu wollen. So habe ich mich vielleicht noch tiefer in die Verzweiflung gegraben – aber letztendlich habe ich in meinem Leben aus den schlimmsten Situationen immer am meisten gelernt. Das ist wie die Selbstverständlichkeit einer heißen Dusche. Erst, wenn du mal bis zum Hals in der Scheisse gesteckt hast, weißt du sie wirklich zu schätzen. Und dann spürst du jeden einzelnen Wassertropfen. Oder so.

Ich möchte mich nicht dafür verurteilen, dass mich eine finanzielle Sicherheit ein Stück weit glücklicher macht. Ergo bin ich davon abhängig, das stimmt. Abhängig von meinem Dach über dem Kopf und dem Essen auf meinem Tisch. Vielleicht sind das diese 10% äußerem Umstände, von denen Jens Lehrich da sprach.

 

Aber: Bin ich nicht noch von so viel mehr in meinem Leben abhängig?

Ich denke ja. Aber vielleicht… bin ich sogar okay damit.

Brauche ich die Zuneigung meiner Freunde? Ganz bestimmt. Bin ich abhängig von der Liebe meines Freundes? Ziemlich sicher sogar. Aber wir sprechen hier von Liebe! Ich liebe es, zu lieben, und ich leibe es, geliebt zu werden. Und zwar mit jeder Zelle meines Körpers. Ich möchte niemals in meinem Leben gleichmütig sein. Ich will kein Buddha sein, obwohl ich die buddhistische Lehre wunderbar finde und so viel für mich rausziehen konnte. Vielleicht wäre ich als gleichmütiger Mensch noch ein Stück weit unabhängiger von Anderen – aber will ich das? Oh nein. Ich will lieben. Und wenn das bedeutet, verletzlich zu sein, dann nehme ich das nur zu gerne in kauf. Die wundervollsten Dinge spüren zu können bedeutet auch, die schrecklichsten mal fühlen zu müssen. Vielleicht bin ich keiner dieser Menschen, die nur 10% von Außen brauchen. Vielleicht will ich 25%. Mein Herz wurde bestimmt schon hunderte male gebrochen, aber niemals habe ich es deswegen verschlossen. Liebst du, wirst du auch mal leiden. Die Kunst ist es doch, mit Schmerzen umgehen zu lernen und sie nicht in Wut auf andere umzuwandeln. Die Kunst ist es doch, mit offenem Herzen durch die Welt zu laufen, und jede Verletzung nur dafür zu nutzen, es noch weiter zu öffnen.

Jeder Mensch braucht Liebe. Und ist die Liebe, dir mir ein anderer Mensch schenkt, nicht auch ein “äußerer Umstand”? Vielleicht ist die Liebe, die Menschlichkeit, bereits in diesen 10% der Glücksforschung mit inbegriffen. Für mich fühlt es sich aber nach so viel mehr an. Verliert man einen geliebten Menschen, braucht man eine Umarmung. Ich muss nicht durch jede Misere in meinem Leben alleine gehen. Niemand muss das. Wozu sind wir denn sieben Milliarden?

Versteht mich nicht falsch, ich möchte nicht needy sein. Ich möchte mich schön fühlen, auch ohne den Zuspruch Anderer. Ich möchte mein Leben selbst auf die Kette kriegen, ohne finanziell von jemandem abhängig zu sein. Ich möchte mich nicht nur in einer Beziehung wertvoll fühlen können. Ich möchte mir selbst auch eine Stütze sein können. Trotzdem aber möchte ich mir ein Stück Abhängigkeit bewahren. Von Liebe und Bindungen abhängig zu sein ist doch einfach nur menschlich.

Das Fundament des Glücks muss stehen, um darauf bauen zu können. Auf einem festen Boden aus gedeckten Grundbedürfnissen (Luft, Wasser, Essen, Schutz, ein Zuhause) und Liebe (egal ob romantisch oder freundschaftlich) kann ich bauen. Ich habe all das erst gelernt, als mein Fundament bröckelte. Und bin jetzt um so glücklicher, dass es wieder steht. Bestimmt wird es irgendwann wieder einmal wackelig. Vielleicht wird es sogar komplett zerstört. Ich weiß aber nun, welche Bausteine ich für mein Fundament bestimmt nicht verwenden werde: Finanzieller Reichtum. Eine perfektes Äußeres. 100k auf Instagram. Ein begehbarer Kleiderschrank. Das sind alles fürchterlich morsche, leicht kaputtbare Materialien. Daraus baut man sich kein Fundament, sondern allerhöchstens ein Kartenhaus.

 


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* Es war unfassbar, wie offen und freundlich die Leute am Telefon waren. Ich entschied mich dazu, ehrlich zu sein, und sogar einem total fremden Kundenberater zu erzählen, was bei mir gerade los ist. Nicht mal diese fremden Menschen verurteilten mich: “Das ist gar kein Problem, Frau D., wir freuen uns, dass sie sich melden. Wir geben ihnen gerne noch einen Monat Aufschub ohne weitere Mahngebühren, und wenn es dann immer noch kompliziert ist, finden wir eine Lösung”. Man muss nur mit den Menschen reden, auf gleicher Augenhöhe.