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[two_third]Ein Ton ist eine Kurve. Ein Schall, der Schwingung erzeugt. Ein Ton ist niemals eine gerade Linie, es sind immer Schwingungen. Rauf, und runter, rauf, und runter. Mal weiter hoch, mal weiter runter. Das weiß ich, weil mein Freund mir letztens vorschlug, man könnte den Tinnitus in mein Ohr „ausgleichen“, mit einem Ton, dessen Kurve exakt entgegensetzt der in meinem Ohr verläuft. Und der eigentliche Ton verschwindet, weil er durch den anderen ausgeglichen wird. „Oder du gehst den schwierigen weg und versuchst herauszufinden, was der Ton dir sagen will“, sagte er dann.

 

Ich beschwere mich viel über den nervigen Ton in meinem rechten Ohr, wahrscheinlich, weil ich eigentlich weiß, dass er psychisch bedingt ist und mir mein Kopf irgendetwas damit sagen will. Aber ich finde nicht heraus was es ist, mir geht es doch eigentlich ganz gut. Besser als vor ein paar Monaten jedenfalls. Meine persönliche Kurve geht momentan eigentlich wieder Bergauf (und mit ihr auch die Lautstärke meines Tinnitus, was ich, wie gesagt, nicht verstehe, aber man kann ja nicht alles haben). Aber ich glaube, ich bin gerade dabei, ihn zu akzeptieren. Was bleibt mir auch anderes übrig?
Manchmal verfluche ich dieses ewige Rauf und Runter. Irgendwo wissen wir ja, dass das Leben ein ewiges Auf und Ab ist, auch wenn wir ständig darauf bedacht sind, allen Schmerz und alles Leiden so weit wie möglich zu umgehen. Ist ja auch eine ganz natürliche Reaktion. Wenn was weh tut, wünschen wir uns, dass es baldmöglichst aufhört. Und auch ich wartete schon all zu oft in schlechten Zeiten nur sehnlichst auf den Tag, an dem ich das Tal doch endlich erreicht haben möge. In diesen Zeiten hasse ich die Gegenwart und das, was gerade ist, so sehr, dass ich Pläne schmiede, wie ich so eine Talfahrt in Zukunft vermeiden kann. Das darf nie wieder vorkommen. So weit darf ich es nie wieder kommen lassen. Das möchte ich nie wieder fühlen müssen. Und sobald ich wieder klarkomme, renne ich doch wieder ins nächste Messer. Weil ich nicht in der Lage bin mein Herz zu verschließen, und eigentlich finde ich das ganz gut. Aber sein Herz zu öffnen, alles reinzulassen, was auch nur in die nähe kommt, bedeutet eben, auch den Schmerz doppelt und dreifach zu fühlen.

 

Mittlerweile aber habe ich siebenundzwanzig Lebensjahre hinter mir, und mit jedem Tag habe ich das Gefühl, das Leben ein Stück weit besser zu verstehen. Eigentlich muss man immer nur Aufmerksam sein. Das kann ich sehr gut, solange ich mich gut fühle, solange gerade alles okay ist. Aber sobald es wieder runter geht, vergesse ich all das. Ich vergesse, dass mich jeder Schmerz am Ende doch nur einen Schritt weiter gebracht hat. Ich vergesse, dass es doch jedes mal auch wieder Bergauf ging. Ich vergesse wer ich eigentlich bin, weil mir auf Talfahrt offenbar so viel Wind in die Augen geblasen wird, dass ich sie nicht mehr öffnen kann.
Und dann ärgere ich mich fürchterlich und Teile mich innerlich wieder auf – in das grimmige, blinde Mädchen, und das andere Selbst, welches versucht das Mädchen in den Arm zu nehmen. Dieses andere Selbst – ich nenne es mal Selbstmitgefühl – ist zwar immer da, aber nie stark genug. Vielleicht muss ich mich mal mehr um Selbstmitgefühl kümmern, wenn ich den Kopf dafür habe. Sonst lernt es ja nie, mir auf Talfahrt mal eine Skibrille mitzugeben.

 

Vielleicht ist der Ton in meinem Kopf deshalb da. Um mich auch in guten Zeiten daran zu erinnern, dass ich an meinem Selbstmitgefühl arbeiten muss. Dass ich mich nicht wieder auf meinem Gipfel ausruhen soll, sondern gut für mich sorgen muss – dass ich genau jetzt auf Nahrungssuche gehen sollte, um den nächsten Winter besser zu überstehen. Denn kommen wird er, so ist das Leben – der einzige Unterschied ist, wie ich damit umgehe. Schmerzen werden sich immer anfühlen wie Schmerzen, aber Leiden werde ich nur, wenn ich den Schmerz ablehne, ihn nicht zulassen will, ihn als etwas negatives bewerte. Wenn ich doch nur lernen könnte, mich selbst mehr in den Arm zu nehmen, mir selbst die beste Stütze zu sein… dann könnte ich vor diesem Abgrund stehen und mir denken: Ich bin gespannt, was ich diesmal lernen werde. Ich freue mich auf die neuen Erkenntnisse, die ich dann zum Bergsteigen mitnehmen kann – und ich freue mich darauf, darüber zu schreiben.

 

Ich glaube ich bin auf einem guten Weg. Und wer weiß, vielleicht lerne ich ja wirklich mal surfen auf meiner persönlichen Lebenskurve. Rauspaddeln, aufsteigen, wellenreiten, runterfallen, Luft anhalten, durchgespült werden, und trotzdem mit einem Lachen wieder auftauchen, weil’s einfach herrlich war.

 

Und dann wieder raus.

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