Meine rechte Hosentasche vibriert in regelmäßigen Abständen, als würde mich jemand anrufen. Eigentlich habe ich gerade keine Zeit dafür, aber ein Anruf muss schon etwas Wichtiges sein. Heutzutage ruft ja fast niemand mehr an. Ich entschuldige mich also kurz bei meinem Gesprächspartner, drehe mich weg und ziehe mein Telefon aus der Hosentasche. Kein Anruf. Es sind einfach nur Kommentare auf Instagram und Facebook, die sekündlich aufpoppen. Normalerweise hält sich das bei mir im Rahmen, weshalb ich die Benachrichtigungen nie ausgeschalten habe. Ich öffne also kurz meine Facebook-Seite und überfliege einige Kommentare – ich hatte das irgendwann Mittags schon mal getan und war erstaunt über die vielen, positiven Reaktionen. Was ich nun aber lese ist eher so… the internet. Ein paar Trolls, die schreiben, ich gehöre vergewaltigt, oder ein Mädchen, dass schreibt, alle Feministinnen gehören erschossen. Ich scrolle noch einmal kurz hoch, um die Likes zu checken und brauche einige Sekunden, um zu kapieren, dass ich gerade irgendwie 2.000 Likes auf ein Foto auf Facebook bekommen habe. Damit erklären sich auch die Troll-Kommentare – so ist das eben im Internet. Ich würde unglaublich gerne jeden Kommetar verfolgen, gerade aber fehlt mir die Zeit dazu. Also stelle ich die Benachrichtigungen aus und nehme mir fest vor, Abends, wenn ich Daheim bin, alles genau durchzulesen.

Dreizehn stunden später liege ich in meinem Bett und bin furchtbar müde. Morgen werd’ ich alles lesen, heute ist es zu spät. Eine private Nachricht aber, die ich auf Facebook bekommen habe, erregt dann doch meine Aufmerksamkeit. Ich bin einfach zu neugierig. Sie beginnt mit: “Ich möchte dir eine wahre Geschichte erzählen…”
Sieben Minuten später heule ich Rotz und Wasser. Die Nachricht kam von einem Mädchen, die ihre eigene, schreckliche Geschichte erzählte, ein Mädchen, dass sich mir anvertraute und meinte, sie hoffe, dass mein Text andere dazu motiviert, den Mund aufzumachen – nicht so wie sie damals. Ihre Geschichte war derart grausam, dass ich mal wieder kurzzeitig den Glauben an die Menschheit verlor. Da ist also ein Mädchen, dass mir, einer Unbekannten, diese Geschichte anvertraut. Ich versuche ihr irgendetwas zu antworten, was meine Gefühle in diesem Moment ausdrückt, und scheitere kläglich. Es tut mir von herzen leid. Ich wünsche dir alles Glück der Welt. Alles so nichtig, so nichtssagend.

Ich bin noch bis sechs Uhr morgens wach. In meinem Posteingang befinden sich noch mehrere, private Nachrichten von Leuten, die mir ihre Geschichte erzählen, manche posten sogar öffentlich unter meinem Beitrag. Jede endet damit, dass sie sich damals gewünscht hätten, zu wissen, dass das Opfer niemals die Schuld trägt. Immer wieder lese ich, dass die Leute sich wünschen, dass mein Text tatsächlich ins Bewusstsein der Leute eindringt – damit niemals wieder eine solche Geschichte unerzählt bleibt.

Wisst ihr, ich habe viel Scheisse gelesen. Gerade auf Facebook – aber wie schon gesagt, das ist das Internet. Am heutigen Tage habe ich 4.630 Likes auf dieses Foto bekommen – und dumme Kommentare sind bei einem viel geteilten Beitrag einfach vorprogrammiert. Jedes mal aber, wenn ich kopfschüttelnd dasaß und einen dieser Kommentare las – fand ich gleich zehn Antworten darauf, die mich, den Beitrag, oder die Message verteidigten. Besonders dankbar bin ich – mal wieder – für Maries Kommentare unter meinem Sonntagspost, die alles so viel besser ausdrücken kann, als ich es je könnte. Danke, Marie, dass du dir so unfassbar viel Zeit dafür genommen hast!

Und an alle anderen: Danke, dass ihr so hinter mir steht und ich dank euch keine Sekunde lang ein schlechtes Gefühl haben musste. Durch den vielen Zuspruch weiß ich nun, dass ihr meiner Meinung seid und das, was ich sage, sogar für mich verteidigt. Ganz alleine gegen einen Strom aus hirnlosen Kommentaren zu stehen ist nämlich nicht leicht, vor allem für mich, die sich immer alles zu Herzen nimmt.

Und vielleicht.. haben wir ja tatsächlich etwas damit erreicht. Wenn nicht das Umdenken, dann zumindest eine klarere Sicht für Opfer, die sich schuldig fühlen. Weg mit den Schuldgefühlen, die gehören einzig und allein dem Täter.

tattoo
(Fette Probs an Gabor, den wohl einzigen Typen, der sich jemals GIRLPOWER auf den Oberarm tätowieren hat lassen. Kunst by Chrissy <3)