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“Vor allem bist du so unentspannt, wenn du dranhängst. Deine ganze Körperhaltung. Schultern eingezogen, Kopf geneigt beim Tippen, und dann so ein halbes Ohr bei mir.” Ich hatte Tanja gerade erzählt, wie mich Chrissy für meine Entscheidung, Whatsapp auf meinem neuen Handy nicht mehr zu installieren, gelobt hatte. Sie sagte auch, es sei so angenehm, dass ich nicht mehr in mein Handy abdrifte. Das ganze Wochenende in de Bergen war ich einfach voll da, ohne Ablenkung, ohne auf’s Handy starren. Ich war einfach dort und sonst nirgends.

Mein Handy-Entzug ist nun seit fast zwei Wochen vorbei. Die Entscheidung, dass ich weder Messenger noch Whatsapp auf dem neuen Telefon installieren möchte, traf ich allerdings bereits während der smartphonefreien Zeit – als ich am See lag, die Zugspitze raufsah und mir bewusst wurde, wie tiefenentspannt ich doch diese zwei Wochen gewesen bin. Weil ich keine Nachrichten bekam. Weil ich keine Nachrichten sofort beantworten musste. 

Ich versuche es mal zu erklären: Wann immer ich eine Nachricht auf Whatsapp bekomme, poppt diese auf meinem Display auf und ich weiß: Darauf muss ich antworten. Am besten gleich, nicht, dass der andere womöglich gesehen hat ich war online. Und wenn ich nicht sofort antworte, muss ich sie im Hinterkopf behalten. Mein Hinterkopf ist allerdings so klein wie eine Bohne und merkt sich für gewöhnlich nichts, also vergesse ich es. Am besten also ich antworte gleich jetzt und sofort, was dann in ein Chatgespräch mündet – egal wann, egal wo. Egal, ob jemand im “realen Leben” (herre, wie das klint) gerade vor mir sitzt. Ich könnte niemals Morgens eine Nachricht bekommen und sie erst Abends beantworten. Entweder, weil es in der Nachricht an sich um etwas geht, was jetzt und gleich passieren muss, oder, weil ich es vergesse, wenn ich es nicht sofort tue. Genau deshalb stand ich auch nach meinem Festival-Wochenende erstmal eine Stunde am gleichen Fleck in meinem Zimmer und versuchte verzweifelt alles zu beantworten, was ich verpasst hatte. Facebook, Whatsapp, E-Mails, all das. Wie oft ich die Worte: “Sorry, dass ich jetzt erst antworte” bereits geschrieben habe… ich weiß es nicht mehr. Ich habe das Gefühl, mich ständig dafür zu entschuldigen, dass ich nicht immer erreichbar bin, genau so wie ich mich bei meinem realen Gegenüber entschuldige, DASS ich gerade erreichbar bin und ihm keine Aufmerksamkeit schenken kann. Sobald ich jemandem antworte, der womöglich gerade online ist, entwickelt sich ein Gespräch – aber was, wenn ich dafür eigentlich gerade keine Zeit habe, oder ganz einfah keine Lust am Handy rumzuhängen? Dann folgt ein: “Ich kann gerade nicht, ich schreibe dir später”. Und später…geht das Ganze von Vorne los. Ergibt das alles irgend einen Sinn für euch?

Genau so verhält es sich übrigens auch anders herum. Wie oft ich mich schon gefragt habe, warum ich denn immer noch keine Antwort bekommen habe – und mich in der nächsten Sekunde über eben diesen Gedanken ärgere. Ich antworte doch auch so oft nicht sofort – weil man eben manchmal zu tun hat. Warum zur Hölle schleicht sich dann trotzdem dieses Gefühl ein? Meine ständige Erreichbarkeit bringt auch die Erwartungshaltung mit sich, dass auch jeder andere immer erreichbar ist.

All diese wirren Gedanken sind die letzten zwei Wochen komplett von mir abgefallen, weil sofort Antworten nicht möglich war (und das auch jeder in meinem engeren Umfeld wusste), oder weil ich mir bei einer SMS sicher sein konnte, dass niemand weiß, ob ich sie bereits gelesen habe oder nicht. Und wisst ihr, was jetzt mein neues Ding ist? Telefonieren. Um Gottes willen, wie schön ist es eigentlich zu telefonieren? Wie schön ist es, sich am Ende des Tages oder beim nächsten Treffen wieder was zu erzählen zu haben – weil man es eben nicht gleich und sofort mitteilen kann! Und mal ehrlich: Ist es nicht fast schon seltsam für uns, wenn mal jemand anruft? Für mich war es das – in den Momenten, wenn mein Handy klingelte fragte ich mich eigentlich immer: “Wieso ruft der denn jetzt an, kann doch auch schreiben?” Was für ein bescheuerter Gedanke. Bin ich irgendwie sozial inkompetent geworden dank Whatsapp? Und wie bescheuert war ich, dass ich mir ständig diesen Tipp-Stress mache – wenn ich doch einfach mal anrufen könnte?

Wann immer ich in den zwei smartphonelosen Wochen eine SMS mit einer Frage bekommen habe, rief ich an. Weil T9 echt sau umständlich ist und sich einfach alles, absolut alles, schneller klären lässt – wenn man miteinander redet. Und besser! Und ohne Missverständnisse! Wie oft habt ihr euch schon mit jemandem gezankt, weil der eine etwas schrieb, was der Andere dank eines fehlenden Smileys total falsch aufgefasst hat? Meine Freundin Chrissy und ich haben uns erst vor ein paar Tagen darüber unterhalten, wie sich untere Kommunikation in den letzten Jahren verändert hat. Wie wir gelernt haben darüber zu sprechen, wenn den anderen etwas stört. Wie wir pinibel darauf achten, den anderen ausreden zu lassen – und wir wir gelernt haben sofort anzurufen, wenn es mal wieder geschriebene Missverständnisse aufkamen. “Ich dachte mir, ich ruf mal an, das klang gerade so, als seist du sauer…”
“Sauer? Ach quatsch, nein, ich meinte das so…”

Ich habe in den letzten zwei Wochen so viel mit meinen Freunden und Eltern telefoniert wie schon lange nicht mehr. Während ich früher fast schon sauer war, wenn mir mein Partner mal ein paar Stunden nicht schrieb, freue ich mich heute darauf, im Bett zu liegen und ihm von meinem Tag erzählen zu können. Via Skype. Keine Sekunde Tagsüber mache ich mir bescheuerte Gedanken über Online-Status, zwei Haken, blaue Haken, einen Haken, irgendwelche Haken. Ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich Abends Facebook öffne und erst dann sehe, wer mir welche Nachrichten geschrieben hat. Jeder weiß, dass ich weder Facebook-App noch Messenger installiert habe und wenn was Wichtiges ist, muss man mich anrufen.

Für einige von euch mag dieser ganze Blogpost wahrscheinlich total Hirnrissig erscheinen. Ich bin ein Extremfall – und gerade deswegen hat mir dieser Cut wohl gut getan. Aber ich bin mir auch sicher, dass viele von euch ein ähnliches Verhalten an den Tag legen und wenn ja, kann ich euch nur empfehlen, mal eine Chat-Pause einzulegen. Am Besten mit guter Ausrede – euer Umfeld wird es nämlich Anfangs nicht verstehen, warum man denn jetzt kein Whatsapp mehr möchte. Ist es nicht verrückt, dass man seinen Mitmenschen mitteilen muss, wenn man eine App löscht? Tut man es nicht steht dein Umfeld nämlich vor der schwierigen Frage, wie man dich denn jetzt am besten erreichen kann. “Du könntest mich zum Beispiel anrufen, wenn was is’, so wie früher, weißt du noch?”
– “Ah! Ja. Stimmt.”

Am Besten und unkompliziertesten ist es allerdings, nicht nur die App, sondern auch seinen Account zu löschen. Dann gibt es dich nämlich einfach nicht mehr – keiner kann dich mehr in den Whatsapp-Kontakten finden und du fliegst aus allen Gruppen (Achtung: “Wieso bist du aus der Gruppe raus, alles okay bei dir?”). Jeder, der dann wirklich etwas von dir will – muss zwangsläufig anrufen oder eine SMS schreiben. Und sobald du bei all den Menschen in deinem Umfeld klar gestellt hast, dass es nunmal so ist – wird es auch akzeptiert (und wieder: Wie verrückt ist es, dass man sich wirklich JEDEM erklären muss?) Wenn ich unterwegs bin kann man mich nur noch anrufen oder mir eine SMS schreiben – auf die ich wohl auch eher mit einem Anruf antworten werde. Niemand ist mehr sauer, wenn ich nicht gleich antworte – geht eben nicht.

Und ich lauf’ jetzt wieder rum, guck mir die Welt an und lass mich auch nicht mehr von Fahrradfahrern überfahren, weil ich mal wieder in ein Gespräch vertieft bin. Keine geduckte Körperhaltung mehr, kein abdriften.

Und wisst ihr, was ein weiterer Vorteil dieser ganzen Anti-Messenger-Haltung ist? Sie spart Akku. Wenn ich aus dem Haus gehe habe ich mein mobiles Internet nur an, wenn ich es brauche. Wenn ich mich mal wieder verlaufe oder schnell etwas googeln möchte. Der einzige Grund, warum man ständig mit dem Internet verbunden sein will, ist doch die Erreichbarkeit. Es könnte ja eine Nachricht kommen. Es könnte ja jemand mein Bild auf Instagram kommentieren. Ich bin jetzt auch erreichbar ohne mobiles Internet. Also, Siri, schalte mobile Daten ab.

Okay, ich habe mobile Daten ausgeschaltet.

Gutes Mädchen.

m2

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