Über den Kumpel von einem Kumpel erfahre ich, dass er heute auch da sein wird. Mein erster Impuls ist ein: “Was zur Hölle fällt ihm ein?” – weil er sich gefälligst von den Orten, die ich Liebe, fernzuhalten hat. Das ist er mir schuldig. Ja, auch jetzt noch. Der Kumpel hat natürlich keinen Einfluss darauf und auf meine Frage, ob meine Reaktion bitte ausrichten könne, bekomme ich nur ein schiefes Lächeln. Eines, was mir sagt, ich soll doch jetzt nicht so rumstressen. Männer ey, die verstehen gar nichts.

Ich überlege kurz, ob ich meine Abendplanung ändern soll und einfach woanders hingehe. Meinem Herzklopfen nach zu urteilen bin ich noch lange nicht soweit. Nein, auch nach über einem Jahr nicht. Ich bin noch nicht so weit ihn auf einer Party zu sehen und den ganzen Abend um mich zu haben. Das kann ich noch nicht. Ihm ist das offensichtlich egal, er weiß angeblich, dass ich da sein werde. Wir sind keine Freunde mehr auf Facebook, ich hatte damals einen so klaren Schnitt gezogen, dass ich momentan nichtmal mehr weiß, welche Frisur er gerade trägt. Die Egozentrikerin in mir meldet sich und sagt, dass er das bestimmt nur macht um mich zu ärgern. Bestimmt findet er’s geil zu sehen, dass ich ihm immer noch hinterherhänge, nach all dieser Zeit.

Ich stelle mir vor, wie das später ablaufen wird. Wie ich im Club stehe und ihn schon von weitem sehe, weil er sowieso alle überragt. Die Welt um ihn herum wird sich verlangsamen und er wird dastehen in der Menge, als sei ein einziges Spotlight nur auf ihn gerichtet. Dann sieht er mich, kommt zu mir, und ich habe wieder das Gefühl er läuft nicht, sondern schreitet. Erhaben, schön, begehrenswert. Je näher er kommt, desto kleiner werde ich, und ich wünsche mir wieder so sehr er würde seine Hände an mein Gesicht legen und sagen, er will mich wieder. Weil ich ihn immer noch will. Aber er wird nur vor mir stehen, mit angrinsen, als sei niemals was gewesen, etwas davon faseln, dass er sich freut mich zu sehen und ich schreie ihn entweder an, weine, oder sage einfach gar nichts. Egal wie, es wird saupeinlich. Und ernüchternd. Oh Gott, vielleicht ist er mit einem Mädchen dort. Das wäre der Super-Gau. Ich werde klein sein und er riesengroß, weil er immer noch diese ekelhafte Macht über mich hat.

Und obwohl ich bildlich vor Augen habe, wie dieser Abend für mich ablaufen wird – zu viel Alkohol – drama – geheule – will ich unbedingt hin. Ich will ihn unbedingt sehen. Also wechsle ich das eben auserkorene Top gegen das mit dem freien Rücken, ein Hauch von Nichts den ich da beinahe trage,  aber irgendwie fühle ich mich darin ein wenig besser. Ein bisschen mehr wie die Exfreundin, die man besser nicht hätte verlassen sollen… oder so.

Als wir ankommen ist er angeblich schon da, das weiß ich, weil eine Freundin gleich aufgeregt zu mir läuft und mir davon berichtet, noch bevor sie mich begrüßt. Ich gebe meine Jacke ab und setzte mich zu den Anderen auf die Steinstufen vor den Club. Es wird noch eine geraucht, bis wir reingehen. Ich gucke wie besessen hin und her, er muss wohl gerade drin sein. Und als ich von meiner fertig gedrehten Zigarette wieder hochblicke läuft er auf einmal aus der Tür, geradewegs an uns vorbei, ohne mich zu sehen. Nach weniger als drei Sekunden ist er in der Menge verschwunden und ich starre auf den Platz, an dem er eben noch zu sehen war.

Und ich fühle nichts.

Ich warte wie besessen auf das Ziehen in der Brust, die schwitzigen Hände, das Spotlight. Nichts. Ich blicke zu meiner Freundin rüber, die mich gespannt mustert, und ich gebe nur seltsam glucksende Geräusche von mir, bevor ich in einen Lachkrampf verfalle. Ich muss so laut lachen, dass meine Freundin mit einstimmt, ohne zu wissen, warum.
“Hä, was? Was ist los, wieso lachst du? Du hast ihn doch gerade gesehen, oder?”
“Ja!” gluckse ich, “Ja, total, aber wer zur Hölle ist das?!”
Meine Freundin ist unendlich verwirrt und ich versuche ihr meine Gefühle zu erklären. Er kam also durch diese Tür gelaufen, trug die gleichen Klamotten wie damals, war – logischerweise – genau so groß wie damals und auch sonst sah er genau so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Nur fand ich ihn einfach überhaupt nicht attraktiv. Gar nicht, eher im Gegenteil. In der Sekunde, als er in mein Blickfeld lief frage ich mich, ob das wirklich der Kerl war, der mich damals so verletzt hatte. Meine eigene Reaktion und meine unerwarteten Gefühle hatten mich so überrumpelt, dass ich nichts anderes tun konnte, als zu Lachen. Lachen über meine bescheuerte Angst und den seltsamen Film, den ich davor in meinem Kopf schob. Ich greife meiner Freundin an beide Schultern, schüttle sie und rufe: “Es ist mir egal! Es ist mir einfach scheiss egal, kannst du das glauben?” Ich stehe plötzlich auf, lasse meine lachende und verdatterte Freundin zurück und laufe schnurstracks in die Richtung, in die er eben verschwunden war. Ich muss ihn finden, ich muss mir sicher sein.
Als ich hinter ihm stehe, sein breites Kreuz hochgucke und ihm auf die Schultern tippe habe ich Herzklopfen – aber nicht, weil ich angst hätte. Sondern weil ich mich freue, dass mir das alles so offensichtlich nichts mehr ausmacht. Er dreht sich um, spielt den überraschten und ich umarme ihn herzlich zur Begrüßung. Als ich ihn zubabbel und frage wie’s ihm geht raucht er seine Zigarette viel zu schnell zu ende. Ist er nervös? Er lehnt sich immer wieder von einem Bein auf’s andere und erzählt irgendwas von seinem neuen Job, wie geil das alles ist, wie gut es ihm geht und dass er echt keine Ahnung hatte, dass ich auch da sein würde. Bullshit, aber okay. Und während ich da stehe, ihn ansehe und seinen Worten lausche, frage ich mich, was das eigentlich für fürchterlich arroganter Mensch ist. Und was zur Hölle ich jemals an ihm fand. Alles, was er erzählt, langweilt mich. Sein geregeltes Leben langweilt mich und ich erwische mich dabei, wie ich mich freue, dass ich kein Teil davon bin. Gerade, als er anfangen will, mir von seine neues Plänen zu erzählen lege ich meine Hand kurz auf seine, flöhte ein “du, ich muss leider wieder hinter, tut mir leid, wir sehen uns!”, drehe mich um und schreite durch die Menge davon. Und irgendwie habe ich das Gefühl er guckt mir hinterher. Erhaben, schön und begehrenswert. Hah!

An diesem Abend habe ich endgültig alle Dämonen begraben. Es ist so verrückt, wie man einen Menschen plötzlich mit anderen Augen sieht, wenn man die rosarote Brille absetzt. Ich bereue die gemeinsame Zeit nicht, das wäre falsch, ich habe daraus gelernt und ich bin daran gewachsen. Und dank diesem Typen weiß ich, dass ich auch den größten Liebeskummer überwinden kann. Und wenn ich so zurückdenke an meine vergangenen Lebensabschnittsgefährten – frage ich mich eigentlich bei jedem, was ich mal an ihm fand.

“Weisst du noch, damals, ich hing ihm zwei Jahre hinterher! Zwei Jahre! Und wenn ich ihn jetzt sehe bin ich fanst schon dankbar dafür, dass er am Ende so ein Arschloch war”, sagte meine Freundin zu mir, als wir ein paar Wochen später noch mal über diesen Abend quatschten. Auch sie hatte mal Exfreund-Dämonen, die heute aussehen wie diese kleinen Stofftier-Teufel. Rot, flauschig, und mehr süß als bedrohlich.

Das Spotlight ist schon lange nicht mehr auf dich gerichtet. Ich tanz’ jetzt in deinem Spotlight.

spotlight