Es ist ein Selfie mit mir und meiner besten Freundin, in Schwarzweiß, geschossen irgendwann ende Mai letzten Jahres. Wir grinsen doof in die Kamera und keiner der zweihundert Likes ahnt wohl, wie kaputt wir eigentlich waren, als dieses Foto entstand. Sieht eigentlich ganz gut aus, Filter sei Dank. Ich sehe mich, lächelnd, total zufrieden in dem Moment, als wir dort saßen und das Handy vor uns hielten, und trotzdem möchte ich bei meinem Anblick eigentlich heulen. Dieser Tag war der Anfang von Allem und das Ende von Allem, er war gleichzeitig wundervoll und grausam. Nur ein Selfie. Ein blödes Foto, was mich beim bloßen Anblick wieder in genau die Gefühlslage versetzt, in der ich mich damals befand. Traurig wenn einsam und über die Maßen glücklich wenn gemeinsam. Ich sehe mich an und würde mir selbst gerne alles erzählen, was die nächsten Monate passieren wird, möchte mir selbst erklären, warum die Monate davor so beschissen waren.

Geh nach Hause, würde ich sagen, du bist schon viel zu lange auf dieser Party. Du warst letztes Wochenende schon so lang aus, und das davor, und das davor. Während du dort sitzt und deinem Körper viel zu viel zumutest und dich die ganze Zeit fragst, warum dein Typ dir schon wieder seit Tagen nicht schreibt, ist er eigentlich näher, als du denkst. Nicht etwa hunderte von Kilometern entfernt wie er sagt, nein, er liegt nur wenige S-Bahnstationen im Bett einer Anderen – während du wie immer glaubst er arbeitet sich zu Tode. Das sind alles Lügen, ein riesiger Kompott aus Grütze. Fahr nach Hause, schlaf, lösch seine Nummer und beende all das, ohne zu denken, du seist an irgend etwas Schuld. Das bist du nicht. Du bist ehrlich, glaubst an das Gute und nicht daran, dass dich jemand in solchem Ausmaß hintergeht. Übermorgen, am ersten Juni, da wirst du es tatsächlich beenden, und ich bin wahnsinnig stolz, dass du es tust. Ich wünschte nur ich würde dir deine Gewissensbisse nehmen und dir das große “Warum?” beantworten können, was dich noch so viele Monate danach plagen wird. Du bist nicht schuld. Er ist schuld. Er hat dich immer glauben lassen, dass es da noch etwas gibt, an was du festhalten kannst. Er hat dich nicht gehen lassen, obwohl du sowieso schon so weit weg warst. Er lässt dich glauben du währst ein schlechter Mensch, weil es ihm ja “so schlecht geht” und er sich deshalb zurückzieht – aber in Wirklichkeit ist zweigleisig fahren einfach verdammt anstrengend. Und jedes mal, wenn er behauptete, es gehe ihm körperlich schlecht und er würde sich deshalb nicht so viel melden, lag er eigentlich bei ihr. Er wusste, dass das die beste Ausrede ist, weil du Leichtgläubig bist, blind vertraust und nicht im entferntesten daran denkst, dass jemand so grausam lügen könnte.
Oder vielleicht… vielleicht erzähle ich es dir lieber nicht. Vielleicht brauchst du noch ein paar Monate, um das verkraften zu können. Wenn du es jetzt erfährst wirst du wahrscheinlich ertrinken in der bitteren Erkenntnis, du bist doch gerade so labil und ziemlich nah am Abrund. Nein, du solltest es jetzt wirklich nicht erfahren. Du erfährst es genau zum richtigen Zeitpunkt, wenn eine wundervolle Auszeit bevorsteht. Genau dann, wenn es nur noch ein paar Tage sind bis du in die Sonne fliegst. Mit diesem einen Menschen, den du genau an dem Tag, an dem dieses Foto entstand, erst richtig ins Herz geschlossen hast. Du weißt es jetzt noch nicht, aber dieser gute, aufrichtige, liebeswürdige Mensch, mit dem du an diesem Tag so viel Spaß hattest, tritt in dein Leben und bahnt sich über die nächsten Monate seinen Weg mitten in dein Herz. Und genau dann, wenn du stark genug bist um die Wahrheit über die ganze Scheisse zu erfahren, ist er schon so tief drin, dass das alles nur noch halb so weh tut. Du hast den Einen an diesem Tag losgelassen und den Anderen unbewusst bei der Hand genommen. Ich sage besser nichts. Ich erzähle dir besser nichts, denn eigentlich läuft alles so, wie es sollte.

Eigentlich lief alles so, wie es sollte. Ich blicke wieder in mein grinsendes Gesicht und erinnere mich plötzlich wieder daran, wie glücklich ich gerade bin. Ganz egal wie verloren ich mich damals fühlte, ohne diese Zeit damals, ohne die Menschen, ohne die Lügen wäre ich jetzt nicht hier. Ohne die Musik wäre ich jetzt nicht hier. Ohne die Parties wäre ich jetzt nicht hier. Alles ist immer zum absolut richtigen Zeitpunkt passiert, das Schicksal meinte es nur gut mit mir. Wenn ich es mir recht überleg müsste ich diesem schrecklichen Menschen, der mir kurzzeitig den Glauben in die Menschheit raubte, eigentlich danken. Danken dafür, dass er mich innerhalb eines Jahres komplett auf den Kopf gestellt hat und mir gezeigt hat, dass nicht jeder so ist wie er. Danke, dass ich durch dich den besten Menschen der Welt kennenlernen durfte, danke, dass du niemals für mich da warst und ich deshalb erkannt habe, wer wirklich neben mir steht, bis zum Schluss.

Danke für deine Lügen, danke für dein Betrügen, danke für die beschissene Zeit.

Danke dafür, dass du ein Arschloch bist. <3

reason