Es klingelt.
Eigentlich liege ich im Bett und wollte gerade ein bisschen wegnicken. Ich setze mich auf und gucke aus dem Fenster, der Kofferraum vom Auto meiner Nachbarn auf dem Parkplatz gegenüber steht offen und ich weiß, was das bedeutet. Also schäle ich mich wieder aus meinem viel zu flauschigen Bett, ziehe mir einen Pulli über und schlüpfe in meine Schuhe. Als ich die Tür öffne steht Frau K. bereits im Hausfluhr. “Anschi”, sagt sie, “hilfst du uns kurz?”
“Ich hab’ sogar die Schuhe schon an”, antworte ich, und sie lacht. Ich trage die Einkaufstüten nach oben, begrüße kurz ihren kleinen garstigen Wohnungstiger und wie immer werde ich auf einen Schnaps eingeladen, den ich dankend ablehne. Ein bisschen zu früh dafür. Bei Frau K. wurde vor ein paar Monaten eine schwere Krankheit diagnostiziert, wodurch sie in letzter Zeit viel abgenommen hat. Herr K. hat Probleme mit dem rechten Bein, also ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, die Tür zu öffnen, wann immer die beiden klingeln. Als Gegenzug finde ich hin und wieder Leckereien für Sherry vor meiner Haustür. Richtig feine, teuere Katzenleckerlis. Da freut sie sich.

 

Mir wurde letztens die Aufgabe gestellt, mir zu überlegen, was Heimat für mich bedeutet. Das Heimatgefühl in Bayern, ganz ohne Klischees. Ich fühle mich hier nicht Daheim wegen Oktoberfest, Bier und Tracht, ganz im Gegenteil. Heimat war noch niemals ein Ort, Heimat war schon immer ein Gefühl. Und so sehr ich es liebe andere Städte und Orte zu besuchen, das Gefühl zu Hause zu sein gibt mir immer nur diese eine Stadt. Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen, hier werde ich vielleicht irgendwann endlich mal ERwachsen. Heimat ist, wo ich meinen Nachbarn fast täglich die Einkäufe in de zweiten Stock hochtrage.

Heimat ist da, wo ich ich in jeder Bäckerei Butterbrez’n bekomme.
Heimat ist, wenn ich dieses surrende Geräusch der S-Bahn höre, das sie macht, wenn sie losfährt, obwohl ich den MVV eigentlich so gar nicht leiden kann.
Heimat ist, wo man mich nicht mit Vorurteilen überschüttet, wenn ich sage, ich bin gebürtige Münchnerin.
Heimat ist, wenn ich bereits beim Aussteigen aus der U-Bahn den Bass wummern höre, der aus einem Zirkuszelt am Rande der Stadt dröhnt.
Heimat ist, wo ich bis um 6 Uhr Morgens weiter feiern MUSS, weil sonst sowieso keine Bahn fährt.
Heimat ist, wo es immer gut riecht.
Heimat ist, wo meine Eltern sind.
Heimat ist, wo die ältere Dame von Nebenan jedes mal vor meinem Fenster stehen bleibt, um nach meiner Katze zu rufen.
Heimat ist, wo ich mir um 19 Uhr noch mal genau überlege, ob ich bereits alles eingekauft habe.
Heimat ist da, wo sich meine Katze wohl fühlt.
Heimat ist, wo ich mitten in der Nacht allein durch die ganze Stadt laufen kann – und mich trotzdem sicher fühle.
Heimat ist, wo Julius, Chrissy, Ina, Tanja, Ludwig, Helena, Mosi und Lisa sind.
Heimat ist, wo ich an jeder Straßenecke eine andere, großartige Erinnerung auskramen kann.
Heimat ist, wo ich schon so oft mein Herz verloren habe, es gebrochen und wieder geflickt wurde.
Heimat ist tanzen an der Isar, auf Dächern, in Zirkuszelten, im Untergrund.
Heimat ist, wo mir jedes mal wieder das Herz aufgeht, wenn ich an klaren Tagen irgendwo am Horizont die Alpen entdecken kann.

Man kann über diese Stadt und die Leute hier sagen, was man möchte. Es gibt einen Grund dafür, warum ich noch niemals wirklich lange weg war. Ich liebe diese Stadt, weil sie in meinen Augen so gar nicht spießig, versnobt oder “zu sauber” ist. Ich liebe sie, weil sie meine Heimat ist. Weil sie mich immer wieder mit offenen Armen aufnimmt, wenn ich dachte ich gehe verloren.

Ich hab dich lieb, München.