“Na viel Spaß mit deinem Löwen”, sage ich, und denke dabei an die letzten Wochen. “Die sind furchtbar egozentrisch. Beziehen immer alles auf sich oder fragen sich ständig, warum keiner an sie denkt.” Meine Freundin lächelt mich an, ruhig und sanftmütig wie immer. “Ach, also ich kenne nur großartige Löwen.” Ich sehe auf ihren kugelrunden Bauch und frage mich, ob der kleine Mann, der gerade in ihr heranwächst, tatsächlich irgendwann ähnliche Charakterzüge zeigen wird wie ich – weil wir das gleiche Sternzeichen haben werden. 

Ich habe mich nie wirklich viel mit Sternzeichen beschäftigt. Ich las irgendwann die Charakterbeschreibung eines Löwen und konnte mich überhaupt nicht darin wiederfinden. Selbstsüchtig? Egozentrisch? Überheblich? So bin ich nicht, dachte ich mir, ganz und gar nicht. Und so will ich auch gar nicht sein, das sind ekelhafte Eigenschaften – ich aber bin ein guter Mensch. Ich will doch niemandem etwas Böses, ganz im Gegenteil. Ich denke sogar, dass ich meine eigenen Bedürfnisse generell immer hinter die der Anderen stelle. Ich kümmere mich unendlich gerne und bin da, wenn man mich braucht. Und im Mittelpunkt stehen? Ich hasse Vorträge, ich hasse Referate! Mich stört es schon, wenn ich in einer Gesprächsrunde zu lange im Mittelpunkt stehe. Sowas wird mir schnell unangenehm.

Vor ein paar Wochen kam dann das böse Erwachen. Als ob die Löwin in mir nur geschlummert hätte. Seit ein paar Monaten versuche ich mich selbst besser kennenzulernen und mich öfter mal zu fragen, warum ich in manchen Situation so übertrieben emotional reagiere. Warum ich so schnell verzweifle, wenn ich das Gefühl habe vergessen zu werden. Ich habe eine ganze, ziemlich Tränenreiche Nacht gebraucht, um genau das zu realisieren. Und erst Wochen später habe ich gelernt damit umzugehen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen was für ein Gefühl es ist, zu erkennen, dass man eigentlich gar nicht das ist für was man sich selber hält. Zu erkennen, dass man selbst eigentlich am schlimmsten ist. Und gar nicht unfehlbar. Und gar nicht nett. Dass ich manchmal ein Verhalten an den Tag lege, welches ich bei anderen schnell verurteile. Auf einem ziemlich hohen Niveau. Allein das zu schreiben fällt mir schwer, aber ich tue es, weil ich das Gefühl habe, es so noch ein Stück mehr zu akzeptieren. Es zuzugeben macht es mir bewusster. Auch die Tatsache, dass ich absolut nicht kritikfähig bin will ich so vielleicht ein bisschen kompensieren. Ich sehe es, nehme es an, und versuche es zu ändern. Also dann.

Ich bin also egozentrisch. Nicht aber egoistisch. Ein Egoist ist selbstsüchtig, Ich-Bezogen und tut eigentlich alles nur dann, wenn es ihm selbst nutzt. Ich aber denke immer nur unbewusst, dass alles, was ein anderer tut, etwas mit mir zutun hat. Ich beziehe einfach alles auf mich oder bin sauer, wenn ich vergessen werde. Ich opfere mich gerne für andere auf und nehme das dann als Vorwand zu sagen: “Ich denke doch immer an alle, wieso denkt ihr nicht an mich?” – was natürlich meistens nicht stimmt. Natürlich wird an mich gedacht, sehr oft sogar – aber dann sehe ich es nicht. Ich denke nur: Wieso sind meine Gefühle und Bedürfnisse gerade nicht der Mittelpunkt? Es ist so schwierig zu erklären, was in meinem Kopf vorgeht. Ich versuche momentan, eben diese Gefühle in mir zu steuern. Wenn ich das Gefühl habe, die Welt ist gemein zu mir – frage ich mich kurz, ob es denn eigentlich gerade um mich geht. Wenn ich an einem Dienstag keine Zeit habe und alle sich dann an diesem Tag zum Grillen verabreden muss ich mir immer wieder sagen, dass sie das nicht tun, weil sie mich nicht gern haben. Ich muss mir selbst bewusst werden, dass mich hier niemand vergessen hat.

Ich bin so dankbar dafür, Freunde zu haben, die mir meine Fehler aufzeigen. Die sich mit mir hinsetzen und sagen: “Angela, pass mal auf, es gibt da etwas, was wir dir sagen müssen…” – und es nicht totschweigen bis es zum großen Knall kommt. Es ist so, so wichtig, Menschen um sich zu haben, die Kritik an der eigenen Persönlichkeit annehmen; und versuchen, sich zu ändern. Mit: “Ich bin halt so, entweder du magst mich, oder nicht”, kann ich mittlerweile wenig anfangen. Natürlich muss man nicht an allem rummeckern – aber wenn dir zwei, drei Personen unabhängig voneinander sagen, dass Dies und Jenes was du tust nicht so cool ist, sollte man sich Gedanken machen. Irgendwann im Sommer wurde mir gesagt, ich sei eine schreckliche Tratschtante und würde manchmal in großen Runden Dinge über andere erzählen, die eigentlich nicht vor Anderen ausgesprochen werden sollten. Ich dachte in solchen Situationen immer: “Ist doch ‘ne witzige Geschichte, kann man ja mal erzählen…” – habe aber vergessen, dass man es mir vielleicht im Vertrauen erzählt hat. Insgesamt drei verschiedene Leute haben mich auf genau das angesprochen – bis ich mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht habe. Erst letztens habe ich es geschafft dieses Thema bei einer der “betroffenen” Personen wieder anzusprechen und mich zu entschuligen. Heute tue ich so etwas so gut wie gar nicht mehr – worauf ich ziemlich stolz bin. Die Kritik tat weh, aber nun habe ich das Gefühl, dadurch ein besserer Mensch geworden zu sein.

Worauf ich eigentlich raus will: Wenn du einen Freund oder eine Freundin hast, die Dinge tut, welche dir und vielleicht anderen nicht gefällt – sprecht miteinander. Drück dich dabei gewählt aus, mach ihm verständlich, dass du ihn trotzdem gern hast, dich aber diese Dinge stören. Auch wenn dieser Freund die Kritik erst nicht annehmen will ist es immer, immer, IMMER besser darüber zu reden als es nicht zu tun. Hast du einen Freund, der einfach unausstehlich wird, wenn er zu viel trinkt – sag’s ihm. Wenn jemand unzuverlässig ist und du ständig deine Termine umändern musst dafür – sag’s ihm. Und andersrum, sei nicht böse, wenn es DIR gesagt wird. Durchatmen, drüber schlafen und besser machen.

Als ich mich von meiner Freundin verabschiede denke ich mir, dass es vielleicht gar nicht so schlimm ist, wenn der kleine Mann ein bisschen so wird wie ich.Vielleicht, mit ganz viel Glück, kommt er sogar an meinem Geburtstag. Das wäre schön, denke ich mir. Eigentlich bin ich nämlich ganz okay.

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(All das habe ich übrigens nur dank meiner Freundin Chrissy gelernt, die meiner Meinung nach der reflektierteste Mensch ist, den ich kenne. Auch wenn sie manchmal immer noch denkt, sie könnte ein besserer Mensch sein. Ich finde, die bist der großartigste Mensch auf der ganzen ganzen Welt! <3)