April 2014

“Du bist doch alles für mich”, lese ich auf dem Handy-Display. “Ich schwöre dir, wir kriegen das alles hin. Ich komme bald wieder zu dir und dann sind wir endlich wieder zusammen. Dann gehen wir in den Zoo oder in diese Ausstellung, was immer du willst. Wir sind was besonderes, du und ich. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen, verstehst du? Ich habe noch niemals in meinem Leben so was erlebt wie mit dir und ich werde es niemals loslassen. Es tut mir leid, dass ich momentan schwierig bin, aber ich will dich nicht weinen sehen. Ich will dir nie wieder weh tun, das schwöre ich”
Ich lese die Worte gefühlte hundert mal. Wie konnte ich denn nur wieder so übereifrig sauer sein? Er hat eben zu tun. Ich kann mich nicht immer aufregen, nur weil er mir nicht ständig schreibt. Ich bin doch keine vierzehn mehr, mein Gott. Und er weiß jetzt, wie sehr es mich verletzt, vergessen zu werden. Das wird er nicht mehr tun, er hat’s doch gesagt.

Drei Tage später sehe ich aus, als sei ich zehn Jahre gealtert. Meine Augenlider sind geschwollen und trotzdem fällt mein Gesicht ein, als hätte man ihm jegliche Nährstoffe rausgesaugt.  Er hat sich nicht gemeldet, drei Tage lang. Er reagiert nicht auf meine Anrufe, schreibt nicht zurück und niemand weiß, wo er ist. Ich mache mir so unendliche sorgen weil ich keine Erklärung für sein Verhalten finde, er hat doch gesagt, er würde mir niemals wissentlich weh tun wollen. Seit drei Tagen kann ich weder schlafe noch essen, und er geht trotzdem nicht an sein scheiss Handy. Irgendetwas muss passiert sein. Ich rufe die Krankenhäuser in seiner Gegend ab, keiner kennt seinen Namen. Jede Sekunde, die er sich nicht meldet sterbe ich tausend Tode und ich erwische mich dabei, wie ich mir wünsche, ich hätte ihm nicht geglaubt. Ich wünschte, ich hätte seine wundervollen Worte mal in Frage gestellt, aber warum sollte ich das, welcher Mensch sagt schon solche Dinge und vergisst sie im nächsten Moment.

“Bitte verzeih mir. Es geht mir nicht gut, ich brauchte ein paar Tage ruhe.” Poppt es auf einmal auf meinem Display auf und ich habe das Gefühl, mein Herz implodiert. Ich bin auf einmal wieder hellwach. Ich wähle seine Nummer. Wo war er? Es ging ihm nicht gut? Mir ging es nicht gut! Hat er nicht vor ein paar Tagen erst gesagt, er will mich nicht traurig sehen? Hat er vielleicht eine Sekunde lang daran gedacht, wie es mir geht? Seit drei Tagen weiß ich nicht wo er ist, wie es ihm geht und warum er nicht auf meine Anrufe reagiert! Meine Gedanken springen umher, ich laufe im Kreis durch die Wohnung meiner Freundin. Und er geht nicht ran. Es tuten, dann die Mailbox, er geht einfach nicht ran. Er hat doch eben erst geschrieben, was zur Hölle ist nur los?

“Ich kann jetzt nicht, bitte Angela. Ich kann jetzt nicht sprechen. Es geht mir gut, ich brauche meine Ruhe, mach dir keine Sorgen. Ich melde mich morgen.” Schreibt er. Ich tippe gefühlte zwei Stunden lang wie wild auf meinem Handy rum, versuche ihn zu überreden nur eine einzige müde Sekunde mit mir zu telefonieren, aber er wehrt ab. Ich soll ruhig bleiben, bald ist er wieder da. Er liebt mich doch. Und Gott sei dank merke ich in dieser Sekunde, dass ich mir das selbst nicht mehr länger antun kann. Dass drei Monate der Unwissenheit, drei Monate auf Antworten warten, drei Monate ignoriert werden einfach genug sind.

Ein halbes Jahr später erfahre ich, dass seine Worte nichts anderes waren als die riesen große Lüge eines Narzissten, der niemanden mehr liebt als sich selbst. So wunderschön sie immer klangen, so leer waren sie auch. Nichts dahinter. Immer nur Worte, Worte, Worte, aber niemals Taten. Er konnte nicht an sein Handy gehen, weil er schon längst eine Andere hatte, die sechs Monate später durch gleiche Hölle gehen musste wie ich. Und ich habe mich einlullen lassen durch ein paar Sätze, ein bisschen “ich liebe dich”.

 

Februar 2015

Der Tag war scheisse. Und mir geht’s scheisse. Seit zwei Stunden suhle ich mich in meinem Selbstmitleid, habe die Sonne den ganzen Tag nicht gesehen und möchte eigentlich nichts anderes tun, als im Bett zu liegen. Ich kann mich für nichts motivieren. Mein Körper ist ausgelaugt, meine Beine halte ich umklammert, wie ich es immer tue, wenn die Welt gemein zu mir war. Ich liege da, starre die Wand an und mit jeder Minute die ich nichts tue, hasse ich mich selbst noch mehr dafür. Ich muss doch eigentlich was tun.
“Wieso bist du denn nur immer noch so traurig?” fragt die besorgte Stimme hinter mir. Ich spüre, wie sich die warme Hand auf meinem Rücken bewegt, und mich vorsichtig streichelt. Seit zwei Stunden liegt sie da und berührt mich, versucht mich zu trösten. Keine Sekunde hat sie damit aufgehört. Ich fühle, wie ich ihn mit meiner Laune und meinem Schweigen runterziehe, wie er innerlich verzweifelt, weil er nicht weiß, mit welchen Worten er mich trösten soll. Er findet selten die richtigen Worte, aber ich nehme ihm das nicht übel. Ich bin selbst genau so. Als seine Hand auf einmal verschwindet kugelt mein Herz noch ein Stück weiter in diesen tiefen Abgrund, den ich mir selbst geschaffen habe. Ich höre, wie er die Rollläden hochzieht, irgendwas an meinem Computer tippt und mein Lieblingslied leise anfängt zu spielen.
“Was machst du denn?” flüstere ich gegen die Wand.
“Ich räum jetzt ein bisschen auf”, antwortet er. Meine Angst, ihn mit meiner miesen Laune zu vergraulen wird größer. “Nein, bitte”, sage ich, “nicht aufräumen… ich mach das schon…”. Ich drehe mich zu ihm, blinzle die Tränen weg und setzte mich schwerfällig auf.
“Ist doch kein Problem. Ich kenne dich. Wenn du morgen aufstehst und es sieht so aus wie jetzt, kannst du nicht arbeiten und dann magst du dich noch weniger, weil du’s heute nicht getan hast.” Ich bitte ihn noch ein, zwei mal aufzuhören, aber er hängt bereits meine Klamotten auf und schüttelt die Kissen auf. Mir bleibt nichts anderes übrig, als meinen Kadaver aus dem Bett zu hieven und mit anzupacken.

Drei Stunden später sitzen wir beim Italiener um die Ecke. Ich habe mich tatsächlich geschminkt, angezogen und das Haus verlassen, nachdem die Wohnung sauber war. Ich bin so vollgefressen, dass ich mich kaum bewegen kann, und wieder nimmt er meine Hand. Und streichelt sie.
Auf dem Weg nach Hause zieht er eine Tafel Schokolade aus seiner Jackentasche und drückt sie mir in die Hand. “Ganze Haselnüsse”, sagt er grinsend. Ich sehe ihn an und kriege ein bisschen Tränen in den Augen. Heute bin ich einfach zu nach am Wasser gebaut. Ich freue mich so, so sehr über diese dumme Tafel Schokolade, obwohl ich gerade keinen Bissen mehr runter kriege. Diese eine Tafel Schokolade ist der Beweis für alles. Er hat an mich gedacht, irgendwann gestern oder heute, und sich dazu entschlossen, mir irgendwann damit eine Freude zu bereiten. Er hat mit mir gemeinsam die Wohnung geputzt, welcher Exfreund hat das schon jemals getan. Er hat mich dazu gezwungen, das Haus zu verlassen, obwohl ich wirklich absolut keine Lust dazu hatte. Er hat mich zum Essen eingeladen und meine Hand gehalten. So viele kleine Farbtupfer, die zusammen ein riesengroßes, buntes Kunstwerk ergeben.
Er ist vielleicht kein Typ für große Worte, aber seine Taten sprechen Bände. Er würde mich niemals alleine lassen, niemals ignorieren, niemals etwas sagen, was er nicht genau so meint und seine eigenen Bedürfnisse immer hinter die Meinen stellen.

“Du musst doch jetzt nicht weinen wegen der Schokolade!” sagt er lachend und wir bleiben kurz stehen, weil er mich in den Arm nehmen will.
“Ich hab’ dich so sau lieb”, schluchze ich, und während er mal wieder meinen Kopf streichelt antwortet er: “Ich dich doch auch”.

Und eigentlich hätte ich nichtmal diese Worte von ihm begraucht.

actions-always-prove-why-words-mean-nothing