(Heute lese ich meinen Sonntagspost wieder vor. Diesmal aber ohne Video – einfach auf Play klicken.)

 

“Vielleicht hätte ich das verzeihen können, weißt du. Dass er’s überhaupt getan hat, meine ich. Aber ich komme einfach nicht damit klar, dass er gelogen hat.” Sie zieht ein letztes Mal an ihrer Zigarette und drückt sie energisch aus, als sei der glühende Stummel die Lüge selbst. Seit einer Stunde sitze ich im Dunkeln in der Küche vor meiner Webcam und höre ihr zu. Es ist das erste mal, dass ich sie so erlebe. So verletzt, zerbrechlich und traurig. Für sie geht gerade eine Ära zu Ende, eine unfassbar lange Liebesbeziehung zerbricht an einer Lüge. Nein, an zwei, drei, oder sogar vier Lügen. Das Vertrauen, was einmal die Grundlage ihrer gemeinsamen Zeit war, wurde ersetzt durch Eifersucht und Misstrauen. Zwei Gefühle, die man meistens nie wieder ins Positive umdrehen kann. Verliert man das Vertrauen, sucht man das geliebte Armkettchen in der Nordsee.

Ich ziehe ebenfalls an meiner gefühlten hundertsten Zigarette und erinnere mich an meine letzte Begegnung mit einem notorischen Lügner. Ich fand damals raus, dass eigentlich alles, was ihm jemals über die Lippen kam ein gigantisches Konstrukt aus Unwahrheiten war, zusammengeschustert aus erfundenen Geschichten hier und da. Das letzte, was ich zu diesem Menschen sagte, war: “Du bist ein Lügner. Ich möchte nie wieder etwas mit dir zu tun haben.”
Für mich ist es eine schreckliche Beleidigung, jemanden als “Lügner” zu bezeichnen. Ich hoffte in diesem Moment, dass ihn meine Worte treffen würden – im Nachhinein aber glaube ich, dass ihm meine Worte genau so egal waren wie alles Andere. Für ihn hatte niemand in diesem Leben genug Wert, um ehrlich behandelt zu werden. Ich frage mich, wie man so wird. Wie man es mit sich selbst vereinbaren kann, ständig Dinge zu erzählen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Ich tu mir schon bei den kleinsten Alltagslügen schwer, und wenn mir mal eine über die Lippen kommt, fühle ich mich danach furchtbar schlecht. Wenn ich auf eine Frage mit “Nein” antworte obwohl es eigentlich ein “Ja” sein sollte bekomme ich Herzklopfen, mir wird heiß und ich habe das Gefühl, man hätte mir soeben ein dickes fettes “Liar” auf die Stirn tätowiert.

Ich hatte mal eine Freundin, die gelogen hat als gäbe es kein Morgen. In Situationen, in denen es vielleicht sogar gar keine Lüge gebraucht hätte. Ich erinnere mich, wie wir gemeinsam zu spät zum Unterricht erschienen und es schon während sie die Tür öffnete aus ihr raussprudelte: “Entschuldigung, aber wir haben einen Autounfall beobachtet und mussten warten, bis die Polizei da war!” Ich stand total verdattert daneben, vor der ganzen Klasse, und konnte nichts anderes tun als zu nicken. Mein Herz klopfte bis zum Hals, mir wurde heiß und ich hörte das Surren der Tätowiermaschine. Als wir uns setzten grinste sie mich stolz an und flüsterte mir ins Ohr: “Gut, oder?”
Wir sind heute keine Freunde mehr.

Lügen ist etwas, was ich nicht verstehe und niemals verstehen will. Ein Lügner, das ist jemand, der sich aus jeder Situation mit einer großartigen Geschichte rausreden kann. Und der, der spannende Stories auspackt, die irgendwie jeder cool findet – aber meistens nichtmal ansatzweise so passiert sind. Ein Lügner stellt sich immer besser dar, als er eigentlich ist. Je kleiner der Mensch, desto größer das Lügenkonstrukt um ihn herum. Und irgendwann verlieren sie jeden Skrupel. Vielleicht gab es Anfangs mal so etwas wie ein Gewissen, aber als es darum ging, den Wal zum niesen zu bringen um aus seinem Inneren zu entfliehen schaffte es Jiminy Grille nicht nach Draußen. Kein Gewissen mehr, dass sagt, man dürfe die Gefühle anderer Menschen nicht verletzen. Ohne Gewissen keine Rücksicht.

Ich habe aus meiner Erfahrung mit Lügnern gelernt. Wenn jemand in der Lage ist, viele kleine Lügen zu erzählen, lauert irgendwo versteckt die richtig Fette. Ich habe gelernt, mich von solchen Leuten fern zu halten, weil irgendwann du derjenige sein wirst, der belogen, betrogen und hintergangen wird.

Man kann sich seine Welt schönreden, natürlich. Aber Lügen ist meiner Meinung nach etwas unverzeihliches. Ist sie einmal ausgesprochen und entlarvt wird sich der Gegenüber in Zukunft immer wieder fragen, ob es denn diesmal die Wahrheit war. Ich meine, natürlich lügen wir alle mal – als einen “Lügner” würde ich nur jemanden bezeichnen, der keine Miene verzieht, wenn er die dritte, vierte, oder fünfte ausspricht. Jemand, der dir ins Gesicht lügt ohne zu blinzeln hat das bereits vorher getan, so viele male, sonst wäre er jetzt kein Profi.

Lieber Lügner, lass dir eins gesagt sein: Wer nur Scheisse erzählt erstickt irgendwann in seinem eigenen Haufen Gülle. Die Leute reden. Und irgendwann riecht jeder in deinem Umfeld den Gestank schon aus Kilometer weiter Entfernung. Die Freunde werden weniger oder werden sogar zu Feinden, und irgendwann gibt es nur noch dich. Und deinen eigenen Haufen Scheisse.

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