“Angela, ich habe dich mal wieder beobachtet”, sagt Chrissy zu mir während ich die Tür zu meiner gelben Rennsemmel aufsperre. Da muss man sogar noch den Schlüssel in die Autotür stecken, so alt ist das Teil. “Na dann schieß mal los!” sage ich, und habe diesmal auch kein mulmiges Gefühl im Magen. Das erste mal, als Chrissy mir sagte sie würde mir gerne etwas beschreiben, was sie an meinem Verhalten beobachtet habe, hatte ich um ehrlich zu sein ein bisschen angst. Meistens heißt das: “Ich möchte dir etwas sagen, was ich nicht so cool an dir finde.” Damals sprachen wir über meinen Umgang mit Männern und die Tatsache, dass ich mich unbewusst von einer Beziehung in die Nächste stürze, obwohl ich eigentlich keine Beziehung in dem Sinne führe. Sie wollte mich damit keinesfalls kritisieren, sondern mir eher ein bisschen die Augen öffnen, damit ich mir selber bewusst werde was ich tue – und vor allem mal herausfinde, WARUM ich es eigentlich tue. Ich war ihr dankbar. Manchmal muss die Wahrheit eben ausgesprochen werden. Wir fahren über den Ring in Richtung Ramersdorf und ich höre schweigend zu, nicke, und als wir Daheim ankommen merke ich mal wieder, wie viel ich von Chrissy noch lernen kann. Ich beschließe, in Zukunft auch öfter zu beobachten.

Zwei Wochen später sitze ich mit ein paar Bloggermädels an einem Tisch, wir trinken Wein und quatschen über “das Business”. Mit am Tisch sitzt eine Person, dir ich vorher nicht kannte, mich aber sofort in ihren Bann zog. Mit ihrer lockeren Art, den witzigen Stories und natürlich mit ihrer Erscheinung. Ich kann mich sehr schnell für neue Leute begeistern und erwische mich immer wieder dabei, wie ich solche Menschen um genau diese Fähigkeit beneide. Leute von sich überzeugen können, am Tisch die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Runde vielleicht zum lachen bringen und zu wissen, dass die Gesprächspartner am Ende nur Gutes über mich zu erzählen haben.

Wisst ihr, ich bin manchmal ein bisschen socially awkward. Meistens läuft es nur richtig gut wenn mindestens eine Person mit mir am Tisch sitzt die ich sehr gut kenne – quasi dann, wenn nicht die Möglichkeit besteht ich könnte aus dem Gespräch ausgegrenzt werden. Ich bin absolut Diskussionsresistent und stimme irgendwann nur noch nickend zu, weil ich entweder das Gefühl habe ich wüsste zu wenig über das Thema oder ich mache mir mal wieder zu viele Gedanken was der Gegenüber von mir denkt.
Mein größtes Manko aber: Ich kann mir einfach keine Namen und Gesichter merken. Jedes mal wieder auf solchen Events stehe ich vor Leuten, schüttle ihnen die Hand und höre dann ein “Aber wir kennen uns doch schon!”. Mir ist sowas furchtbar peinlich. Ich weiß ja wie sich das anfühlt, wenn man nicht im Gedächtnis bleibt – da denkt man sich schnell: “Was ist das denn für eine, tut so als würde sie mich nicht kennen…”. Für solche Fälle habe ich Gott sei Dank Alix und ihren Gesichtsscanner. Wann immer wir auf einen Pressday oder zu einem Event fahren frag’ ich sie vorher aus, wen wir schon kennen, wie die PR-Damen heißen und wo wir sie schonmal getroffen haben. Alix hat eben eine beneidenswerte dichte Tupperbox als Hirn, ich bin eher so der Typ Sieb. Leider aber kann Alix auch nicht immer mit dabei sein – genau wie an diesem Tag.

Ich beschließe also, besagte Person über den Abend genau zu beobachten, um vielleicht etwas von ihr lernen zu können. Zuerst fällt mir ihre Körperhaltung auf: Sie sitzt aufrecht, hat die Beine überschlagen und die Hände gefaltet im Schoß, wenn sie nicht spricht und dazu gestikuliert. Ihr Stuhl ist zwar am Rande des Tisches aber zur Runde gedreht, nicht etwa direkt zum Tisch. Ihr Blick wirkt offen und interessiert, kein einziges Mal blickt sie gedankenverloren auf das Glas vor ihr oder tippelt am Handy rum, wie ich es immer gerne tue wenn ich mich in einer Runde unwohl fühle. Auf die Frage, warum ich mich in ihrer Gegenwart gleich wohl gefühlt habe finde ich auch schnell eine Antwort: Sie gab mir von Anfang an das Gefühl, sie würde mich mögen – obwohl wir uns gar nicht kennen. In der großen Gesprächsrunde hier ist sie die Einzige, die absolut jedem in die Augen sieht während sie etwas erzählt; jeder fühlt sich also ins Gespräch integriert, selbst wenn man schon lange nichts mehr zum Thema gesagt hat. Wenn sie jemanden zitiert, benutzt sie die Person neben sich als fiktiven Gesprächspartner. Versteht ihr, was ich meine? Sie sagt nicht “Und dann meinte er, ich solle im helfen”, sondern benutzt die aktive wörtliche Rede: “Und dann sagte er ‘Kannst du mir bitte helfen?'”, und während diesem Zitat dreht sie sich zu ihrer Nachbarin, legt ihr die Hand auf die Schulter und blickt sie direkt an. Sie stellt ihre Geschichte also bildlich dar und bezieht eine aussenstehende Person mit ein.

Ich habe mich noch nie mit nonverbaler Kommunikation oder Körpersprache beschäftigt, aber seit diesem Abend weiß ich, dass man dem sehr viel mehr Bedeutung zuschreiben sollte. Der einzige Grund, warum ich mich manchmal unwohl fühle in Gesprächsrunden ohne meiner “Save Person” bin eigentlich nur ich. Man kann sich auch sehr gut selbst ausgrenzen, indem man die Arme verschränkt, Blickkontakte vermeidet, vergisst zu lachen und seine Meinung nur dem Sitznachbarn ins Ohr murmelt.

Ich habe mir vorgenommen, in Zukunft mehr auf meine Körperhaltung zu achten, auch die stillen Personen am Tisch mit ins Gespräch einzubeziehen und mein Handy mal in der Tasche zu lassen. Nicht, um mich selbst besser darzustellen sondern vielmehr um meinem eigenen Unwohlsein gar nicht erst eine Chance zu geben. Wenn ich mich wohl fühle bin ich nämlich schon ein recht geselliger, unterhaltsamer Mensch.

Und außerhalb der Comfort Zone kann es auch echt flauschig sein.