Winter
Ich sitze zusammen mit T. auf dem furchtbar ekelhaften Boden der Club-Toilette, die Beine an mich gezogen und dem Kopf auf meinen Knien. Ich frage sie, wie es ihr denn momentan eigentlich so geht. Es ist drei Uhr Morgens am 1.1.2014 und ich wollte mich dringend kurz zurückziehen, aber Draußen ist es viel zu kalt und im Club penitriert der Bass mein Trommelfell. Also sitzen wir hier und unterhalten uns über Gott und die Welt. Ich blicke auf die flackernde Lampe über mir und schimpfe sie, weil sie mir tierisch auf den Senkel geht, halte dabei die Hand meiner Freundin und muss plötzlich fürchterlich anfangen zu lachen. Über die Situation hier, meinen künstlichen Aufreger und die Tatsache, dass es mir in diesem Drecksloch gerade echt gut gefällt. Als wir aus der Tür stolpern und ich mein lachendes Selbst im Spiegel sehe gucke ich mir für einen Moment tief in die Augen – und eigentlich gefällt mir, was ich sehe. In diesem Moment nehme ich mir vor 2014 viel mehr zu lachen. Weil’s mir eigentlich echt gut steht.

 

Frühling
Ich stelle mir immer wieder vor, wie er Zuhause bewusstlos in seinem Bett liegt, hunderte von Kilometern entfernt. Keiner ist da um ihm zu helfen und ich bin so machtlos. Ich sterbe vor Sorge. Nein, das wäre zu einfach, es fühlt sich an als wäre die Sorge ein fest verschlossener Sarg, ich im auswegslosen Inneren, tief unter der Erde verbuddelt. Kein Entkommen, nur ich und meine Verzweiflung. Ich telefoniere die Krankenhäuser in seiner Gegend ab, niemand hat was von ihm gehört. Keiner seiner Freunde hat was gehört. Seit drei Tagen ist er nicht mehr erreichbar, über zweiundsiebzig Stunden versuche ich mich abzulenken, mir einzureden, dass bestimmt alles okay sei. Über fünfzig unbeantwortete ausgehende Anrufe zeigt mein Handy. Und als dann endlich das Lebenszeichen kommt verstehe ich die Welt nicht mehr, laufe drei Stunden durch die Stadt auf der Suche nach meinem Lächeln, was er mir soeben fein säuberlich aus dem Gesicht geschnitten und in die brausende Isar geworfen hat.

 

Ich finde es weder hier,

 

noch hier,

 

noch dort.

 

Sommer
Und als ich die Hoffnung schon fast mit in die Isar schmeissen möchte taucht es wieder auf. Nein, Chrissy und Julius finden es wieder. Ich trage es den ganzen Sommer über als ich auf Wiesen, Holzböden, im Sand, in der prallen Sommersonne oder in dunklen Räumen tanze. Ich tanze in den Sonnenuntergang im Schilf, im Sonnenaufgang auf dem Parkhaus, in meinem Zimmer, in Zirkuszelten und unter Pavillions. Ich habe aufgehört zu warten bis der Sturm vorbeizieht, ich habe gelernt im Regen zu tanzen. Manchmal schlafen wir zu fünft in meinem Bett ein, Beine überkreuzt, furchtbar unangenehm aber Hauptsache zusammen. Ich verlor im Frühling einen Menschen, der mir nur kurzzeitig das Gefühl gab etwas besonderes zu sein und fand in diesem Sommer so viele Andere, für die ich nicht nur besonders sondern auch unersetzlich wurde. Genau so wie sie für mich. Dank ihnen besitze ich nicht mehr nur ein einziges, sondern mindestens Drölf verschiedene Arten des Lachens. Gackernd, Wiehernd, viel zu laut, ganz egal.

 

Herbst
Ich wache auf und habe schon wieder Rückenschmerzen. Meine Hände haben sich in Haare vergraben, mein rechtes Bein liegt irgendwo verknotet zwischen deinen und mein Linkes spüre ich nicht mehr. Muss wohl eingeschlafen sein, so wie wir. Ich lockere meinen Griff und bei dieser Bewegung wachst auch du auf, grunzt ein bisschen beleidigt weil ich dich aus dem Kokon, den mein Körper irgendwie um deinen gebildet hat, so plötzlich rauslöse. Auf deiner linken Backe erkenne ich den Abdruck meines Haargummis und muss bei dem verknautschten Anblick lachen. Meine Fingernägel streichen fest über deinen Kopf, dein Nacken verspannt sich und du drückst dich in meine Hand wie meine Sherry, wenn ich ihr den Kopf kraule. “Wir müssen aufwachen”, flüstere ich, und ohne deine Augen zu öffnen wirbelst du mich irgendwie herum in die nächste erstaunlich verquere aber dennoch irgendwie bequeme Kuschelstellung. Festgenagelt. Du lächelst zufrieden in dich hinein und ich schließe kopfschüttelnd wieder die Augen.
Wäre ich im Frühling nicht im Lügenmeer ertrunken hättest du mich nicht da rausgeholt. Es hat schon alles seinen Sinn, denke ich mir. Wie kann ich das Gefühl, was ich in diesem Moment verspüre beschreiben?

Ich bin zufrieden. Glücklich. Angekommen.

Ich habe 2014 mein Lachen gefunden, es auf der Strecke kurz verloren und auf einem Silbertablett serviert in tausendfacher Form zurückbekommen. Dank dir, dank euch, dank mir. Ich bin gespannt, was 2015 so zu bieten hat.