Ich sitze draußen.
Kommt mir bekannt vor, irgendwie sitze ich in letzter Zeit viel draußen rum auf solchen Parties. Heute bin ich allerdings absolut nüchtern, man muss ja nicht jedes Wochenende trinken, und Geld spar ich mir auch. Ich hocke also da mit meiner Wasserflasche in der Hand und unterhalte mich mit einem der Ägypter über sein Physikstudium und die Tatsache, dass er nach nur einem Jahr in Deutschland grammatikalisch schon echt gut ist. Er war bereits verlobt, erzählt er, aber die große Distanz und die fremde Kultur, in die er hier mit der Zeit reingewachsen ist, beendeten die Beziehung. Kenn’ ich, denke ich mir. Wieso diese Welt eigentlich so riesig sein muss, fragt er mich. “Damit es immer wieder was Neues zu entdecken gibt”.
Nicht, dass ich schon besonders viel rumgekommen wäre – ich war noch niemals in Asien oder Afrika, aber ich habe fest vor das in den nächsten Jahren zu ändern. Mir endlich mal unseren wunderschönen Planeten angucken, vor Allem nach Ägypten möchte ich. In letzter Zeit habe ich so viele dieser Landsmänner kennengelernt und jeder Einzelne ist unglaublich ehrgeizig, offen, freundlich und aufgeschlossen. Jedes Mal punkte ich wieder, wenn ich stolz den einzigen arabischen Satz ausspreche den ich mir merken kann: “Aheboosh!” – was so viel wie: “Das mag ich niiiicht” heißt. Sehr bezeichnend.

Wieder merke ich, wie sehr ich mich auf die nächste Zeit freue. Darauf, zu tun und lassen wonach es mir beliebt, ohne jemanden vermissen zu müssen oder emotional zurückgehalten zu werden. Ihr versteht schon, was ich meine. Ich hatte immer das Bedürfnis danach, aber wollte meinen Liebsten nicht zurücklassen – und jetzt, wo ich selbst meine bessere Hälfte bin, jetzt, wo ich rumflattere wie ein eben aus seinem Kokon geschlüpfter Schmetterling (mein Gott, was ein Vergleich) kann ich all das endlich tun.

Menschen neben mir begrüßen sich überschwänglich und reißen mich aus meinen Gedanken. Es ist mein Kumpel Max der einem Typen den ich nicht kenne – welcher allerdings ziemlich unverschämt gut aussieht – um den Hals fällt. Unsere Blicke treffen sich für eine Millisekunde, meine Libido erwacht plötzlich aus ihrem Tiefschlaf und in genau diesem Moment weiß ich, dass er mich auch ganz okay findet. Was an seinem Blick hat mir das jetzt gesagt?
Er steht da, sieht – achtung, ich betone noch einmal – fast schon ‘verhaftet wegen sexy’ gut aus, quatscht mit Max und ab und zu bleiben unsere Blicke aufeinander hängen. Ich möchte nicht aufstehen, also strecke ich meine Hand nach ihm aus und fuchtle damit wirr vor ihm rum. Soll sowas wie: “Komma’ her jetzt” bedeuten. Er blickt irritiert auf meine Hand, greift unsicher danach, ich schüttle seine übertrieben förmlich und stelle mich ebenso vor. Wir lachen, ein bisschen Smalltalk folgt. Kurz wende ich mich wieder meinem anderen Gesprächspartner zu und der grandiose Kerl bleibt in meiner Nähe, obwohl Max schon wieder abgezogen ist. Ha.

Zwei Stunden später sitzen wir Draußen auf dem Gehweg, trinken gemeinsam Wasser und reden über unsere Blutgruppen, verlorene Lieben und kaputte Kniescheiben. Es gibt keine peinliche Stille; Wir treiben so vor uns hin auf einer Welle aus Aufregung und wachsender Sympathie. Wir merken weder wie die Zeit vergeht noch kriegen wir mit, wie der DJ – für den ich eigentlich gekommen bin – anfängt aufzulegen und wieder aufhört. Ich bin vollkommen fasziniert, vergesse sogar ab und zu mein Handy zu checken. Das passiert mir Internet-Junkie eigentlich nie.

Als meine Freunde um die Ecke kommen und mir ein “Wo bist du denn die ganze Zeit, komm mal wieder tanzen!” zurufen falle ich unsanft von Cloud 9 zurück auf den dreckigen Asphalt, der mir mein Shirt ruiniert hat. Von Außen betrachtet ist das hierwieder die typische Angela von früher, die einen Typen kennenlernt, sofort alles um sich rum vergisst und so gar nicht mehr schmetterlingshaft umherfliegt. Gerade dachte ich mir noch, wie geil diese Freiheit ist, wie gern ich mit meinen Freunden unterwegs bin und Muskelkater tanze, wie ich mir die ganze Welt ansehen will – und dann kommen zwei eisblaue Augen dahergelaufen. Und ich lasse mich locken wie meine Sherry mit Plastiktüten-geraschel. Ich werde plötzlich wütend auf mich selber, fühle mich als sei ich die größte Heuchlerin auf diesem Planeten. Meine Gedanken verknoten sich wie Kopfhörer in der Handtasche – keiner weiß, wie es passiert, aber es passiert. Ich mache aus einer abendlichen Bekanntschaft ein Mammut, das weiß ich selbst. Aber ich bekomme das Gefühl nicht los ich könnte mich wieder in etwas verrennen. Wieder so werden wie vor ein paar Monaten.

Und die Stimmen in meinem Kopf sagen wieder: “Do whatever makes you happy”. Aber scheisse noch mal, was ist es denn nun, was mich Glücklich macht?

Ich – oder Wir?

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