“Sophie kommt heute auch”, sage ich und tippe weiter teilnahmslos auf meinem Handy.
“Wer ist Sophie?”, fragt meine Freundin irritiert, “kenn ich die?”
“Nein,” antworte ich, “ich kenne sie auch nur von Freunden, aber du wirst sie lieben. Sophie macht sehr glücklich.” Chrissy hakt noch ein paar mal nach, ich will aber unbedingt ihr Gesicht sehen, wenn wir dort sind. Ich will, dass sie genau so reagiert wie ich.

“Ich bin so krass gespannt jetzt was mit dieser Sophie ist!” stichelt meine Freundin auch noch als wir den Club bereits betreten. “Halte einfach Ausschau nach einem herumfliegenden blonden Pferdeschwanz”, schrei’ ich ihr ins Ohr. Als Antwort kriege ich das typische Chrissy-wtf-Gesicht und muss wieder laut lachen.
Der Club ist ziemlich voll, also wird sie nicht weit sein, wahrscheinlich hat sie sich eine Ecke gesucht mit dem größtmöglichen Platz – also nicht vor dem DJ-Pult. Wir kämpfen uns durch die Menge und irgendwo ganz hinten rechts sehe ich auch schon den Pferdeschwanz von rechts nach links fliegen.
“Da!”, gröhle ich Chrissy ins Ohr, schiebe sie vor mir her und zeige auf den Haarwuschel. “Geh hin und guck einfach.” Ich drehe um, gebe unsere Jacken ab, kaufe was zu trinken und kämpfe mich ein weiteres mal durch die Menge – hätte mir denken können, dass Chrissy noch immer dort steht. Als sie mich sieht hat sie genau das Strahlen im Gesicht, das ich erwartet hatte: “Oh mein Gott, die ist ja so unfassbar genial, wie kann man denn so sein, wie kann man denn so unfassbar niedlich sein, ich versteh genau was du meinst, lass da tanzen!”

Es gibt Tänzer, die haben ihren Rhythmus im Blut, üben Jahrelang für das perfekte Pas de Bourree um ihr Hobby zum Beruf zu machen. Es gibt Tänzer, die üben einen bestimmten Tanzstil, weil es halt irgendwie cool aussieht und beeindruckt. Es gibt Tänzer, die tanzen halt, weil sie baggern wollen. Und es gibt Sophie, die tanzt, weil es sie glücklich macht.
Der Unterschied von Sophie zu all den anderen Dancingqueens im Club ist nach Außen hin offensichtlich und wirkt auf absolut jeden Menschen in ihrem Umfeld gleich: She doesn’t give a fuck. Wenn der Beat einsetzt gibt es kein Körperteil das sich nicht bewegt, keine Bewegung, die nicht gleichzeitig aggressiv und dennoch irgendwie…wunderbar aussieht. Stehst du in Sophies Nähe wenn sie tanzt oder lächelst sie gar an (was du zwangsläufig tust), fuchtelt sie wirr mit den Händen vor deinem Gesicht rum und strahlt dich dabei an als gäbe es für sie gerade nichts schöneres als eben dies zu tun – was dich dazu bringt mitzumachen. Geht nicht anders.
Sie Stampft, boxt, schwebt von rechts nach links und wirft ihren Pferdeschwanz dabei durch die Luft als müsse er unbedingt auch in diesen Tanz integriert werden. Trotzdem ist Sophie absolut niemand der gerne alleine tanzt oder nach Außen hin seltsam wirkt – und das obwohl ich niemals wieder jemanden gesehen habe, der SO tanzt. Sie tanzt weder weiblich noch irgendwie besonders männlich, sie tanzt eben wie sie ist. Ausgelassen und ansteckend Glücklich. Egal wie unkonventionell und absolut anders ihre Art sich zu bewegen ist, niemals würde sich jemand über die lustig machen. Es ist unmöglich NICHT auf sie aufmerksam zu werden und instinktiv das Bedürfnis zu verspüren ebenso wie sie über die Tanzfläche zu wirbeln… und sich einfach mal so zu bewegen wie’s sich halt gerade gut anfühlt. Ohne jemanden seducen oder beeindrucken zu wollen – vielleicht ist es gerade das, was die Leute so an ihr lieben.

Ein paar Wochen später sitzen wir wieder gemeinsam in der U-Bahn. “Sophie kommt”, sage ich und Chrissy klatscht vor Freude sogar kurz in die Hände.
Später an diesem Abend, als ich und die meisten anderen schon total durch irgendwo auf der Tanzfläche stehen und eher so antriebslos hin-und-her-wippen, wirbelt Sophie an mir vorbei, brüllt mir ein “Halllooooo!” ins Ohr und tanzt sich binnen Sekunden ihren eigenen Platz im total überfüllten Club. Und dann geschieht etwas, was ich vorher tatsächlich noch niemals gesehen habe: Um sie herum bildet sich ein großer Kreis, um ihr den größtmöglichen Platz zu verschaffen und all die Leute, die eben noch Richtung DJ tanzten schauen plötzlich auf das Mädchen mit Latzhose – und klatschen, johlen, feuern an. Ich stehe am Rand und kann es kaum fassen – wie ein einziges Mädchen den ganzen Club ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
Als ihr die Aufmerksamkeit allerdings zu groß wird und alle darauf warten, dass der nächste Bass einsetzt, verschwindet Sophie eben so schnell wie sie gekommen ist, macht die Fläche zum exakt richtigen Zeitpunkt wieder frei und hinterlässt eine tanzende, trampelnde, pfeifende Meute – inklusive mir. Irgendwie hat sie es binnen ein paar Sekunden geschafft jedem Einzelnen hier noch mal einen extra-Tanz-Schub zu verpassen.

Sophie ist gerade mal achtzehn. Rauchen? Nicht genug Atem zum Tanzen. Trinken? Das stört doch nur die Koordination. Drogen? Dann fehlt die Aggressivität. Ich bin mir sicher, dass auch eine Strahlemann wie sie ihre eigenen Probleme hat und nicht ständig umherwirbelt, trotzdem aber kann absolut jeder etwas von ihr lernen. Auch ich, mit meinen 24 Jahren.
Ich bin eines dieser Mädchen, das sich ständig in seine Haare langt, den Lippenstift nachzieht und viel zu viel darauf gibt was andere von meinem Äußeren denken – und durch Sophies Tanz habe ich gelernt, dass die Welt auch positiv auf mich reagiert wenn ich nicht immer perfekt bin. Falsch, dass die meisten sogar viel offener und freundlicher dir gegenüber werden. Es ist unglaublich was man zurückbekommt, wenn man einfach mal wie ein Vollidiot durch die Gegend grinst. Wenn man alles andere ausblendet und nur das tut, was einen gerade glücklich macht. Nicht nur hier.

Und wie wunderbar es sich anfühlt, wenn man einfach mal für sich selbst tanzt.

thelessyoucare