“Mir geht es eigentlich ganz gut, ich vermisse nur.” sage ich schulterzuckend. “Ah, klar, verstehe.” Ein mitleidender Blick, vielleicht ein Schulterklopfen. Ich nippe noch ein letztes Mal an meinem Bier und beschließe nach nur eineinhalb Stunden wieder nach Hause zu gehen. Heute ist nicht mein Tag, heute ist es besonders schlimm.Die meisten dieser Menschen hier haben das Glück nicht zu wissen wie es ist jemanden ständig, ohne Pause, ohne einmal durchschnaufen zu können vermissen zu müssen. Der Duden definiert Vermissen folgendermaßen: “Sich mit Bedauern bewusst sein, dass jemand, etwas nicht mehr in der Nähe ist, nicht mehr zur Verfügung steht, und dies als persönlichen Mangel empfinden.” Nicht in der Nähe. Hunderte von Kilometer, manchmal sogar tausende. Ich habe keinen Liebeskummer. Liebeskummer bedeutet, dass jemand niemals wieder “zur Verfügung” stehen wird, Liebeskummer ist die gebrochene oder unerwiderte Liebe, eine fiese Wunde die allein die Zeit heilen kann. Jemanden zu vermissen, der aber eigentlich gleich hier neben dein Herz gehört bedeutet zu warten. Immer. Überall. Den ganzen Tag. Tage zählen, Stunden zählen, oder noch schlimmer: Gar nicht wissen, wie viele Tage man denn nun zählen muss.

tumblr_lh4rhma2Vn1qc42blo1_500

Sobald ich die Tür öffne verlassen Normalität und Alltag meine Wohnung. Ich denke nicht an mein Handy, meinen Computer, ich vergesse zu essen, möchte niemanden sehen – aus Angst ich würde etwas verpassen, wenn ich meine Aufmerksamkeit für nur eine eine Sekunde auf etwas anderes richte. Alles was ich brauche ist hier. In diesen wenigen Stunden der Zweisamkeit vermisse ich noch mehr – weil mir immer wieder bewusst wird, dass es viel zu bald wieder vorbei sein wird. An diesen Tagen, an denen ich nicht allein sein muss lache ich genug für die nächsten Wochen. Die nächsten Wochen in denen es wieder nicht viel zu lachen gibt.
Jedes mal wenn ich die Türe wieder schließe lege ich mich in mein Bett und versuche Alltag und Normalität, die bereits  an mein Fenster hämmern für ein paar Sekunden länger auszusperren. Versuche so viel wie möglich vom übrig gebliebenen Geruch einzusaugen oder mir lange genug einzureden dass die Tür gleich wieder aufgeht.

Als ich vor Jahren einmal “The absence is only physical, my love” las war ich so begeistert. Ich hatte mir den kompletten Blog in kürzester Zeit durchgelesen. Es war die Gefühlswelt einer vermissenden Person, irgendjemandem der seine Identität nicht preisgeben wollte, aber den Gefühlen einen Ausdruck verleihen musste. Wenn ich es nun wieder lese sind die Worte zwar die Gleichen, aber der Ort an dem sie aufprallen ist ein anderer. Manchmal lese ich all diese Zeilen nur weil ich das Gefühl habe hier steht das, was ich denke. Hinter den Worten steht jemand, der mich verstehen würde. Weil es sonst keiner tut.

Am Ende des Tages aber, wenn ich mich wieder in Selbstmitleid suhle und mir einbilde es könnte nicht schlimmer sein mache ich mir bewusst wie wunderbar das alles eigentlich ist. Vermissen heißt verliebt sein. Wenn du vermisst weißt du, dass dir jemand wirklich etwas bedeutet. Es gibt da draußen jemanden, der dich ebenso vermisst. Je mehr wir vermissen, desto mehr freuen wir uns auf ein Wiedersehen. Je schlimmer der Abschied, desto schöner der Moment in dem derjenige wieder vor der Haustür steht.

Der größte Abschiedschmerz bedeutet nur noch mehr Freudentränen. Und the absence is only physical.

missing