Wenn ich die Räumlichkeiten meines Werkstudentenjobs verlasse gehe ich einem immer wiederkehrendem Ritual nach. Kaffeetasse in die Spülmaschine, kurz über den Schreibtisch wischen, aus der Liste austragen, Fenster zu, Licht aus, Jacke an, Stöpsel in die Ohren. Durch die Stadt laufe ich am Liebsten mit Musik, Videoclip Gefühl und so, ihr kennt das ja. Momentan höre ich mich in “Hinterland” rein, ein Album welches meinen Gemütszustand fast perfekt unterstreicht – die letzten Tage waren anstrengend und ermüdend für mein Herz. Meiner Namensvetterin mache ich mit hängenden Mundwinkeln Konkurrenz. In solchen Lebenssituationen sind es die kleinen Dinge, die ein zerwühltes Inneres binnen Sekunden wieder aufräumen können.

Ich gehe also aus dem Büro Richtung S-Bahn, schwebend in meiner Musik-Trance als mir kurz vor der Hackerbrücke auf einmal etwas vor die Füße hoppelt. Hopp hopp hopp, über den Gehweg, unter das Auto. Ich reiße mir verwirrt die Stecker aus den Ohren, lasse die Tasche fallen und lege mich fast flach auf den Boden um unter das stehende Auto blicken zu können. Mit großen Augen sieht es mich an, ein kleines weißes Kaninchen mit dunklen Ohren und einem braunen Fleck auf der Nase, als hätte es mal zu tief ins Nutellaglas geguckt. Vielleicht ist es mir deshalb so sympathisch. Kaninchen sind an der Hackerbrücke nichts seltenes, meist aber leben sie in der Nähe der Gleise und verstecken sich gut vor Menschen und großen Straßen. Dieses hier aber wirkte sauber, mutig und ganz und gar nicht wie ein Bahnhofskaninchen. Ich beschließe es zu fangen und im Haus nebenan zu klingeln um rauszufinden ob es jemand vermisst.

Eine halbe Stunde später (so lang dauert es ein Kaninchen in eine Hof zu scheuchen und zu erwischen) schmiegte sich ich das weiße Wollknäuel unter meinem Mantel an mich. Im Erdgeschoss des Wohnblocks öffnet mir ein kleiner Junge die Tür. “Ich habe ein Kaninchen gefunden”, sage ich. Verwirrt guckt er über seine Schulter und wieder zurück zu mir. “Gehört es dir?”
“Ähm… ja.” Antwortet er mir kurz, wirkt aber verwirrt. Ich frage nach seinen Eltern und Justin bringt mir seinen Vater an die Tür.
“Oh, direkt neben der Straße?” fragt er mich auf dem Weg zum Hinterhof, “so weit gehen sie für Gewöhnlich nicht, die Racker. Wir haben hier im Hof einige Kaninchen.” Als ich diesen betrete hoppeln mir insgesamt drei Kaninchen vor die Füße. “Die leben hier hinten”, erklärt mir Justins Vater, “dort vorne haben sie ihren Stall für den Winter. Wenn es warm ist wie heute laufen sie hier überall rum, gehen aber meistens nie weit weg und kommen wieder von allein zurück.” Meine Kaninchen-Rettungsaktion hat sich also als völlige Fehlinterpretation herausgestellt, es hätte wohl gereicht ich hätte es einfach wieder in den Hof gescheucht. Der Mann lächelt mich an, ein bisschen habe ich das Gefühl er belächelt auch mich. Eine Dreiviertel Stunde habe ich ein Karnickel gejagt, dessen Besitzer gesucht und mir schon wild ausgemalt wie wir drei (Sherry, Kaninchen und ich) zusammen in meinem Zimmer hausen… glücklich bis ans ende unserer Tage, oder so.

Als ich mich auf den Boden knie und meinen Mantel öffne bemerke ich, dass Kaninchen bereits eingedöst ist. Erst als ich es von mir wegziehe, auf den Schoß setze und auf den Hintern klopfe hüpft es von mir runter. “Scheint wohl schön warm gewesen zu sein”, sagt der Mann.

Ich beschließe mein Arbeits-Ritual um einen weiteren Part zu erweitern: Kaninchen hallo sagen.

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