sie steht am fenster. von hier aus kann sie die ganze straße vor ihrer wohnung aus dem ersten stock heraus beobachten. in letzter zeit steht sie viel dort oben, beobachtet das rege treiben auf dem kinderspielplatz gegenüber oder sieht die braven kirchengänger der evangelischen kirche dahinter ein und aus gehen. wie diese glocken sie jeden sonntag unangenehm am ausschlafen hindern, verdammte gotteshäuser.
ganz hinten am ende der strasse nährt sich ein kleiner schwarzer punkt. das feurige gefühl im bauch hinterlässt ein breites grinsen, ihre augen werfen kleine lachfältchen. herzschläge überschlagen sich, das grinsen wird zu einem leisen, glucksenden kichern. der punkt formt sich langsam zu einer person, die sich hitzig strampelnd auf dem fahrrad ihrem ziel nähert, mit stöpseln im ohr hüpft sie lässig auf den randstein. diesen weg ist er schon öfter gefahren, er würde ihn im schlaf wieder finden. vorbei an spielplatz und kirche biegt er in ihre straße ein, bremst abrupt ab und springt locker vom sattel.
noch kurz bleibt sie oben stehen, bis sich sein suchender blick mit ihrem trifft und ihr lachen sich auf seinem gesicht wiederfindet. schnell macht sie kehrt, rennt durch den flur in den hausgang, sprintet die treppe runter, überspringt ein paar stufen und macht erst vor der milchig verglasten eingangstür halt. das herz klopft bis zum hals, kann sie seine silhouette schon durch das glas erkennen. ihre schwitzigen hände greifen die klinke, drücken sie runter, und zieht die schwere Tür in ihre richtung.
ihre blicke treffen sich nur kurz, sein heftiges atmen und ihr kurzes, gepiepstes “hallo” wird von einem langen, fürchterlich langen kuss unterbrochen. ihr gesicht in seinen händen steht sie da, barfuss auf zehenspitzen auf den kalten fliesen, die welt mal wieder ganz und gar vergessend, als sich die türe hinter den beiden wieder schließt.

ein paar jahre später steht sie immernoch dort, mit genau der gleichen erwartung, genau dem gleichen beat im herzen. das fahrrad wurde zum Auto, die ohrstöpsel zum soundsystem. als das brummen lauter wird, klingelt ihr telefon, reißt sie aus ihrer gewohnten ruhe am fenster. “ich bin gleich da”, sagt er. verwirrt blickt sie auf den näherkommenden grauen VW. “ich weiß doch…?” sagt sie.
“ja..kannst du rauskommen bitte, vor deine tür?”
sie antwortet nicht mehr, drückt auf den auflegebutton. das handy fällt wortlos zu boden, zum herzschlag mischt sich ein ziehender schmerz in der magengegend.
wie in trance läuft sie durch den flur in den hausgang, tritt bedacht auf jede stufe. sie kann ihn nicht sehen durch das milchglas. er steht nicht dort. zitternd greift sie die türklinke. er hat eine überraschung.. er ärgert sie nur, ganz bestimmt. es ist nichts, ganz sicher. gleich wird er ihr gesicht wieder in seinen händen halten und ihr sagen, dass sie das einzige, das wichtigste in seinem leben ist.

sie läuft über den hof auf ihn zu, er blickt auf den boden, die hände tief in die hosentaschen gegraben. als sich ihre blicke treffen, sind keine worte mehr nötig. sie kann seinen blick lesen, kennt sie ihn doch besser als sich selbst.

“wer ist es?” fragt sie.

erstickende schreie sind zwischen tränen, kindergelächter und den kirchenglocken zu hören.
nicht einmal jetzt kann die welt aufhören sich zu drehen.

was ihr bleibt ist die erinnerung. und das fenster, an dem sie steht, tag für tag, in der hoffnung der junge auf dem fahrrad möge sich aus den vielen schwarzen punkten formen.

und das große warum bleibt.