Ich erinnere mich, als ich das erste mal deinen Namen laut aussprach. Ich saß allein in meinem Zimmer, und flüsterte ihn vor mich hin, weil ich wissen wollte, wie er klingt, aus meinem Mund, mit meiner Stimme. Und in diesem Moment fragte ich mich, ob es irgendwann wohl ganz normal sein würde, deinen Namen auszusprechen. Ob mir der klang dieser drei Silben irgendwann vertraut vorkommen würde, ob sie sich immer so warm anfühlen würden wie in diesem Moment.

Dein Name war für mich das Größte, weil du es warst. Er fühlte sich so wohlig an, so aufregend, so großartig. So ehrlich, so echt, so schön. Irgendwann, als sich alles-was-man-bisher-erlebt-hat zwischen die Buchstaben deines Namens klemmte, sprach ich ihn auch manchmal mit Tränen in den Augen aus. Mit so viel Schmerz, manchmal mit Wut, ganz oft mit Verzweiflung. Und dann doch wieder mit so viel Liebe. Dein Name tat so gut, und doch so weh. In deinem Namen vereinten sich alle Gefühle, die ich in diesem Leben bisher erfahren durfte. Die Angst aber, ein schrecklich hartnäckiges Gefühl, biss sich fest und ging nicht mehr. Sie schlich sich ein, ganz langsam, und wir versuchten alles, um sie loszuwerden. Wir wollten sie wegdrücken, bekämpfen, nur um dann festzustellen, dass wir sie umarmen müssen. Wir taten alles, alles Menschenmögliche. Die größte Angst aber war die Angst vor der Angst. Die Angst, dass die Angst uns zerstören könnte. Und irgendwann waren da nur noch Ängst, die sich aufeinanderstapelten, und uns beide darunter begruben. Die Liebe war immer da, und wenn wir sie fühlten, dann war sie so intensiv und wunderschön wie am ersten Tag. Immer, bis zuletzt. Aber der Berg aus Angst, er war zu groß geworden für uns. Zu groß, als dass wir uns gemeinsam wieder rausgraben konnten. Wir erstickten daran, bis ich keine Luft mehr hatte, deine Namen auszusprechen. Bis niemand mehr die Kraft hatte, sich gegen die Ängste zu stellen.

Heute, zwei Jahre später, sitze ich wieder in meinem Zimmer und flüstere deinen Namen. Leise genug, dass es ein flüstern ist, und doch laut genug, dass du mich hören könntest, wärest du da.

Den ganzen Abend schon wartete ich auf dich, ohne es zu wollen. Ich wusste, wenn du dich doch dazu entscheiden würdest vor meinem Fenster zu stehen, dann nur heute. Also lag ich im Bett und las, das Fenster geschlossen, immer in der stillen, unterbewussten Hoffnung, ein Klopfen zu hören. Und als ich endlich die Augen schloss, mein Gesicht in meine Katze vergrub, da klopfte etwas.
Ich setzte mich auf, öffnete das Fenster, und starrte raus in die Dunkelheit. Sogar meine Katze war aufgeschreckt, neben mich getapst, und starrte ebenso wie ich aus dem Fenster. Mit großen, aufmerksamen Pupillen, sie hatte es ebenfalls gehört. “Hallo?” sagte ich leise. Aber nichts. Nur die Dunkelheit, das schummrige Licht vom Haus gegenüber. Ich wartete. Noch einen letzten Moment – und dann entschloss ich mich, dich leise zu rufen. Meine Lippen formten die drei Silben deines Namens, und flüsterten sie raus in die Dunkelheit. Und mit ihnen ging dein Zauber, verließ dein Geist mein Zimmer, und ich wusste, es würde das letzte Mal sein, dass ich nach dir rufe. Es würde das letzte mal sein, dass ich deinen Namen laut ausspreche. Es würde das letzte mal sein, dass ich auf dich warte. Denn du warst nicht da.

Es gibt so viele letzte Male, die ich, hätte ich all das gewusst, so gerne viel mehr wahrgenommen hätte. Hätte ich gewusst, dass wir das letzte mal gemeinsam Frühstücken. Dass du mich das letzte mal so ansiehst, hätte ich es nur gewusst.

Das erste mal, als ich dich sah, liefst du die sieben Stufen zu meiner Wohnung hinauf. Das letzte mal, als ich dich sah, liefst du sie runter. Beide male hattest du ein Lachen auf den Lippen. Ich öffnete dir die Tür, vor zwei Jahren, und ich schloss sie wieder hinter dir, nach zwei Jahren. Ich wünschte ich hätte gewusst, dass ich diese Tür das letzte mal hinter dir schließe, vielleicht hätte ich sie dann niemals geschlossen. Wenn ich’s nur gewusst hätte.

Ich entließ dich in dieser Nacht, als ich das letzte Mal deinen Namen aussprach. Ich entließ dich aus meinem Leben, aus meinem Zimmer. Ich entließ deinen Namen und all die Ängste um ihn herum. Ich entließ dich mit einem See aus Tränen, so groß wie unser Eibsee. Ich weinte und schrie, bis mir die Stimme versagte, und ließ jede Verletzung, all die Wut, all die Ängste, gehen.

Was ich behalte ist meine Liebe zu dir. Ganz tief in meinem Herzen, da soll sie bleiben, da fühlt sie sich wohl. Da gehört sie hin. Was ich behalte, ist die unendliche Dankbarkeit für jeden Moment mit dir. Für alles, was ich durch dich gelernt habe. Du hast mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ein Mensch, der fest daran glaubt, dass auch der größte Schmerz irgendwann seinen Sinn zeigt.

Auch dieser.

 

.