„Hey Jason, hast du mal Feuer?“
Ich halte ihm meine offene Hand hin, die Zigarette bereits im Mundwinkel. Jason sitzt am Boden neben meinem Auto im Schneidersitz, raucht bereits seine Zigarette und wartet nur darauf, bis ich all meine Sachen, die ich zum Schlafen brauche, zusammengepackt habe, damit wir den Anderen zu unserem Unterschlupf folgen können. Wie jeden Abend schlafen wir Draußen, nur heute brauchen wir wenigstens ein kleines Dach über dem Kopf, es wird wohl regnen, meinte Jason.
Er sieht zu mir hoch, mit seinen wachen, hellen Augen. „Angela, du brauchst kein Feuer, das hast du doch bereits in deinem Herzen!“, sagt er lachend. Ich lasse meinen Arm wieder fallen und lache mit ihm. So ein Hippie, ey. Da will man nur ein Feuer und bekommt das. Aber genau dafür mag ich ihn so. Er sieht ein bisschen aus wie Helge Schneider, mit den verwirrten Haare, dem Bart und der bunten Schlabberhose. Jason ist die Zufriedenheit in Person, wenn er um mich ist, fühle ich mich wohl. Er hat so eine ruhige, liebevolle Ausstrahlung, ist unfassbar witzig und alles, was er von sich gibt, klingt wie aus einem Selbstfindungratgeber. Ich höre ihm so gerne zu. Er selbst hat nur seinen Schlafsack mit sich, mehr möchte er auch gar nicht. Einmal habe ich versucht, ihm unsere dritte Iosmatte anzudrehen, aber er sagte nur, er schlafe gerne auf der Erde, so fühle er sich ihr näher. Auch da habe ich lächeln müssen, vielleicht habe ich es da noch BElächelt. Ich finde es schön, wie er denkt, und er scheint so glücklich mit alldem zu sein, also lass’ ich ihn natürlich. Jason besitzt einen Schlafsack und ein paar Klamotten. Mehr nicht.

„Komm her“, sagt er, und steckt seine Hand nach mir aus. Ich nehme sie und setze mich neben ihn auf den Boden. Der Teer ist noch warm von der Sonne.
„Dein Herz“, beginnt er, und drückt mir seinen Zeigefinger ein bisschen unterhalb meines Schlüsselbeines, „besteht aus diesen zwei Herzkammern“. Er lehnt sich weiter zu mir, streckt seine Arme vor mir in die Luft und legt seine Hände ineinander, um die Kammern zu formen. Er lässt sie abwechselnd pulsieren und miemt mit seiner Stimme leise das Pochen eines Herzens. Bum-Bum, Bum-Bum.
„Und hier drin“, er lockert den Griff seiner Hände ein bisschen, „genau hier dazwischen, zwischen den Kammern, da ist ein winziger Hohlraum. Hier ist dein Leben, hier drin ist eben dasselbe Licht, was du dort oben am Himmel sehen kannst.“ Er zeigt in Richtung Sterne. Wie immer, wie jede Nacht hier auf Hawaii, kann ich die Milchstraße sehen, und all die Millionen Sonnen und Planeten in ihr. „Du kannst es doch fühlen, oder?“ fragt er mich, und legt mir wieder seine Handfläche unters Schlüsselbein. Seine Augen sehen mich wieder so freudig an, als würden sie direkt in mich hinein blicken. Wie ein Kind sieht er mich an, ich habe so einen Blick bisher nur bei sehr wenigen Menschen entdecken können.
Seine Hand verweilt dort, und während ich noch ungläubig gucke, legt er die andere auf meinen Rücken. „Das Feuer ist auch im Meer, weißt du“, spricht er weiter. „Hör nur zu“.
Und ich höre. Ich höre das Meer seit sieben Wochen, aber bewusst zugehört habe ich nur selten. Hier draußen ist es gerade alles, was ich hören kann. Keine Autos, keine Vögel in der Nacht, keine Menschen. Ich höre nur die Brandung, wie das Rauschen des Wassers kommt und geht, und jedes Mal, wenn es kommt, drückt mir Jason die Hand fester auf den Rücken, sodass mein Oberkörper beginnt, sich mit dem Meer zu bewegen. Sodass mein Atem beginnt, sich mit dem Meer zu verstehen. Mich übermannt ein unglaubliches Gefühl, und ich muss meine Augen schließen, weil ich es selbst nicht glauben kann.
Und so sitze ich da und Atme mit dem Meer, zusammen mit Jason, zusammen mit den Sternen, zusammen mit allem um ich herum. Ich fühle mich, als hätte ich mich kurzzeitig in alle meine Atome aufgelöst, als würde ich überall sein und überall ist in mir. Und irgendwie wird es warm, fast heiß, inmitten meiner Brust.

Ein bisschen später versuchte ich Chrissy zu erklären, was gerade geschehen war. Aber ich stotterte nur irgendetwas von Sternen und Licht und Feuer und Herzen und Meeresrauschen – ich verstand selbst nicht, was geschehen war, und konnte es wie immer nicht erklären. Ich verstand dort nichtmal, was Jason eigentlich gemeint hatte, warum das Licht der Sterne das gleiche sein soll, was irgendwo in meiner Brust sitzt. Ich dachte eben, das wäre so eine spirituelle Phrase, und damit hatte ich mich abgefunden – denn das Gefühl war das, was ich verstand. Und für den Moment dort reichte mir das vollkommen.

Einen Monat später lag ich wieder Daheim in Deutschland in meinem Bett und las ein Buch, welches ich eigentlich nach Hawaii mitnehmen wollte, aber Daheim vergessen hatte. Es war „Feuer im Herzen“ von Deepak Chopra. Und als ich folgende Zeilen las, verstand ich mit einem Mal, was Jason an diesem Abend gemeint hatte:

„Das Licht der Sterne, die Millionen von Lichtjahren entfernt sind, ist dasselbe Licht, das Pflanzen hier auf der Erde wachsen lässt. Die Pflanzen geben Nahrung; die Nahrung sorgt dafür, dass du dich als Baby im Bauch deiner Mutter entwickeln konntest; und heute betrachtest du die Sterne mit den Augen, die die Sterne dir gegeben haben. Das ist die kosmische Verbundenheit.
Wusstest du, dass du mit jedem Atemzug, den du tust, Millionen von Atomen einatmest, die gestern jemand anderes aus China ausgeatmet hat? Diese Atome befanden sich in einem anderen Körper, sie zirkulieren im Blut oder bauten eine Zelle oder vielleicht sogar ein Baby. Ohne es zu wissen, bist du mit einem Baby verbunden, das noch nicht geboren ist. Das Wasser in deinem Körper enthält dasselbe Salz und dieselben Mineralien wie der Ozean – du trägst den Ozean in dir.“

Damals, an dem Abend mit Jason, schlief ich Nachts zwar wieder auf meiner Isomatte, aber da wir nicht im Sand schlafen konnten, lag sie auf der braunen Erde. Ich lag im Dreck, wenn man es so will. Trotzdem griff ich im Halbschlaf nach eben diesem Dreck und ließ ihn durch meine Hand gleiten, ebenso, wie ich es mit dem Sand am Strand immer tue. Ich liebe das Gefühl von Sand in meinen Händen, und in diesem Moment merkte ich, dass ich auch das Gefühl von Erde in meinen Händen mochte. Denn – was ist schon Dreck? Dreck ist Erde. Es ist der Boden, der uns nährt, der alles hier nährt. Und auch wenn ich zu bequem war, um mich direkt auf den Boden zu legen, verstand ich auch hier, was Jason meinte, als er sagte, er fühle sich der Erde so näher. Und so lag ich dort, mit dem Gefühl der Welt in meiner Hand, als es anfing, zu regnen.

Wir gehören alle zusammen. Wie schön wäre diese Welt, wenn es nur jeder sehen könnte. Wenn jeder sehen könnte, dass es keine Unterschiede gibt, dass wir alle gleich sind, dass wir alle zusammen funktionieren, zusammen treiben, zusammen leben. Wir sind alle miteinander verbunden, Jeder mit Jedem, jeder mit jedem Sandkorn. Und es gibt nichts schöneres, als sich dem immer und überall bewusst zu sein.

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