„Es sind doch nur neun Wochen“, hat man mir gesagt. Und ja, es stimmt doch auch, eigentlich. Neun Wochen sind nichts, es ist nicht mal ein viertel Jahr, es sind einfach nur zwei Monate, was soll da schon passieren?

Ich stehe an einer Tankstelle auf dem Hana Highway, irgendwo in einer Landschaft, die aussieht, als hätte ich mal eben einen Abstecher nach Irland gemacht. Wie verrückt tippe ich in mein Handy, keine Augen für die Umwelt. Wieder ein Missverständnis, bei mir strahlender Sonnenschein, du stehst Nachts im Club. Dein Tag ist schon vorbei, ich habe eben erst Mittag gegessen. Irgendwo am anderen Ende der Welt stehst du in einem dunklen Club und tippst eben so wild auf deinem Handy herum wie ich. Meine Brust drückt sich zusammen und ich bekomme kaum Luft, weil ich nicht weiß, wann ich das nun klären soll – wann ich wieder Internet habe, wann ich dich anrufen kann, wann du Zeit hast abzuheben, wann die Uhrzeiten mal passen… wann? Ich kann nicht Tagelang mit diesem Stein auf dem Herzen herumlaufen, das schaffe ich nicht… zu viel. Das ist zu viel.
Wie schnell sich so ein grauer Schleier über das Paradies legen kann. Es braucht nur etwas Herzschmerz, ein bisschen Verlustängste, ein bisschen Scheisse-ich-bin-am-anderen-Ende-der-Welt.

Drei Wochen lange habe ich gebraucht, um tief genug in mich reinzuhören, um herauszufinden, wovor ich wirklich angst habe. Drei Wochen lang hast du gebraucht, um tief genug in dich reinzuhören, um herauszufinden, wovor du wirklich angst hast. Denn eigentlich.. eigentlich sind zwei Monate doch nichts, und doch so viel. Diese Reise hier verändert mich, das weiß ich, und ich weiß, dass du dich auch gerade irgendwie im Wandel befindest, und, dass verdammt viel in zwei Monaten passieren kann. Die Erkenntnis, dass ich jemanden, den ich so sehr liebe, am anderen Ende der Welt einfach nicht teilhaben lassen kann, schmeckt bitter. Es geht nicht. Ich kann dich nicht jeden Tag anrufen, ich kann all das hier nichtmal selbst verarbeiten, wie soll ich es dann weitergeben? Und du, du fühlst doch genau so. Ich werde mich hier verändern und du wirst es nicht mitbekommen, weil es nicht geht, wir haben es versucht, und es geht nicht.

Alles, was bleibt, ist die Erkenntnis, dass sich alles verändert. Dass sich immer alles im Leben verändert, dass nichts Bestand hat. Aber warum sehen wir nicht die Schönheit in genau dem? Wieso haben wir, die Menschheit, immer Angst vor Veränderung, wieso versuchen wir an allem Schönen festzuhalten… anstatt es einfach zu leben, in genau dem Moment, in dem es passiert? Du, genau so wie ich, wir klammern uns an alles, was mal war und haben Angst vor dem, was kommt. Ich will, dass die Schmetterlinge nie aufhören. Ich will den letzten Sommer zurück. Ich möchte erfolgreich werden, jemand sein. Aber wer will ich sein, was will ich tun? Werde ich das erreichen, was ich möchte, werde ich jemals genug Geld verdienen?

Und wenn die guten Zeiten gerade Gegenwärtig sind, dann haben wir eigentlich nur Angst davor, den Moment zu verlieren. Dann sagen wir uns: „das darf niemals vorbei gehen“. Denn wenn es in der Zukunft vorbei ist, ist ja alles schlechter.

Ich lebe hier gerade im Paradies. Ich weiß, dass diese zwei Monate etwas einmaliges in meinem Leben bleiben werden, dass meine Zeit hier begrenzt ist.. und ich deshalb Angst davor habe, dass sie zu schnell vorbei geht. Dass ich die Zeit nicht genug ausnutze.

Auf der anderen Seite stehst du, so weit weg, und mein Gefühl dreht sich in die andere Richtung. Es sagt: Noch so lange, bis wir uns wieder sehen. Die Zeit soll schnell vorbei gehen, damit ich dich wiederhabe. Ich möchte die Zeit hier anhalten, damit ich für immer bleiben kann, und ich möchte die Zeit hier vorspulen, damit ich sofort wieder bei dir sein kann. Und alles, was ich offensichtlich nicht möchte, ist im Hier und Jetzt zu leben, weder an Zukunft noch an Vergangenheit zu denken, sondern den Moment zu genießen. Aber ich möchte das, von jetzt an, denn Jetzt ist alles, was mir bleibt.

Ich möchte die Zeit aus meinem Kopf verbannen. Morgen ist nicht heute, und gestern ist nicht heute. „Ich will für immer hier bleiben“ und „ich will sofort nach Hause“ sind zwei Minuspole, sie stoßen sich gegenseitig ab, sie finden nicht zusammen. Ich möchte von jetzt an nur noch hier sein, und mit „hier“ meine ich nicht den Ort, sondern das Jetzt. Ich kann dich nicht an all meinen täglichen Erlebnissen teilhalben lassen, das reißt mich aus meiner Gegenwart, ich kann tippend am Handy den Moment weder sehen noch genießen – genau so wie du. Ich verstehe nun endlich, was du gemeint hast, als du vorgeschlagen hast, wir sollten uns wenn dann nur noch ein einziges Mal am Tag schreiben. Und dafür voll und ganz da sein. Ich dachte erst, du sagst mir, du möchtest weniger Kontakt mit mir… und ich habe mich fürchterlich aufgeregt. Aber so ist es nicht! Du möchtest aus meinen Texten an dich nur MICH rauslesen. Nichts mehr nebenbei. Also setzen wir uns ab jetzt beide dann hin, wenn wir Zeit und Kopf haben, um den anderen wenigstens ein bisschen teilhaben zu lassen. Wir schreiben uns wieder Briefe, keine „Kurzmitteilungen“ mehr! Und auch, wenn eine lange Nachricht von dir aufpoppt, werde ich sie erst lesen, wenn mein Herz dafür bereit ist. Was bringt es mir, sie morgens zu lesen, es den Tag mit mir rumzuschleppen, und erst Abends drauf zu antworten? Ich will dich und deine Nachrichten dann in meine Gegenwart holen, wenn auch ich da sein kann. Nur so funktioniert es, und nicht anders, du hast so recht.

Alles im Leben ist Vergänglich. Wie schön ist es, sich genau das bewusst zu machen? So schön ein Moment auch ist, die Gewissheit darüber, dass er vorbei geht, lässt ihn mich noch mehr genießen. Ich kann nur jetzt und hier etwas fühlen, ich kann weder die Vergangenheit, noch die Zukunft so real werden lassen, dass ich sie fühlen kann.

Liebe verändert sich, und das ist wunderbar. Nur weil es heute anders ist als gestern, ist es nicht schlecht. Ich werde mich verändern, du wirst dich verändern, unsere Liebe zueinander wird sich verändern, und genau darauf freue ich mich. Nur, weil sich etwas ändert, wird es nicht schlechter.. es wird nur immer besser. Es ist doch immer alles nur noch besser geworden.

Vergänglichkeit in allen Lebenslage zu akzeptieren ist verdammt schwer, und ich kann es doch auch nicht nicht. Aber ich glaube, es ist der richtige Weg. Ich werde nicht für immer jung sein, und das ist okay. Ich werde nicht für immer gesund sein, und das ist okay. Ich werde nicht für immer auf Hawaii sein, und das ist okay. Meine Katze wird nicht für immer an meiner Seite sein, und auch das muss ich akzeptieren. Alles bewegt sich, alles fließt, krampfhaftes Festhalten macht unglücklich, Zukunftsängste machen unglücklich. Alles, was zählt ist dieser Augenblick. Und wenn ich das einmal verinnerlicht habe, werde ich in jeden Moment so etwas wie Freude mit einfließen lassen können, und sei er noch so alltäglich oder anstrengend.

Und dann bin ich frei.