Chrissy und ich sitzen hinten. Eine provisorische Schnur dient als Gurt, der Wind bläst uns von allen Seiten durch die Haare – Türen gibt es nicht. Aus den Boxen dröhnt irgend ein Gitarren-Sound, den ich nicht kenne, aber er lässt mich trotzdem meine Arme in die Luft reißen. Ich habe mich schon längst an den Jeep gewöhnt. Als Sean uns von der Bushaltestelle oben an der North Shore abgeholt hat und ich ihn von weitem mit bunt verspiegelter Brille und dem blauen Hawaiihemd im Türenlosen Jeep anbrausen sah, musste ich laut auflachen. Was war das für ein Bild! Das war so typisch USA, alles an Sean ist typisch USA, und auch wenn ich vieles davon nicht verstehe und bei einigen Dingen bereits den Kopf schütteln musste mag ich ihn irgendwie. Er hat uns für die nächsten vier Nächte auf Oahu aufgenommen und wir durften bereits früher anreisen als geplant – weil Chrissy und ich keinen Tag länger in Honolulu bleiben wollten. So gemütlich unser Hotelbett auch war, das war nicht das Hawaii, was wir suchten. Das war viel zu viel Stadt, vollgestopft bis oben hin mit reichen Touristen. Keine Ahnung, warum die Leute bis nach Hawaii fliegen um dann am Waikiki-Beach zu bleiben. Das ist doch nur ein Strand wie jeder Andere.
Sparfüchse wie wir sind haben wir natürlich den Bus genommen um an die North Shore zu gelangen – insgesamt drei Stunden saßen wir im über-klimatisierten und vollgestopften Linienbus von Honolulu nach Haleiwa, gemeinsam mit ein paar wirklich schrägen Leuten und all unserem Gepäck für zwei Monate. Aber wie alles im Leben ist es nur halb so wild – oder sogar ganz witzig, solange man eine gute Freundin an der Seite hat. Und nachdem Sean mit seiner über-Karre um die Ecke brauste war die Fahrt auch schon wieder vergessen. Wir kochten, quatschen und sahen uns mit einem kühlen Bier am Strand den Sonnenuntergang an.
Einen Tag später reiste Lisa an, eine weiter Couchsurferin die bei Sean schlafen durfte. Wir schlossen sie gleich ins Herz – manchmal weiß mal nach nur wenigen Sekunden, ob man vom gleichen Schlag ist, oder eben nicht. Lisa begleitete uns noch die ganze Woche auf O’ahu.

Hier oben an der North Shore, da fühlt man sich erst wirklich frei. Und so sitze ich jetzt hier, mit zerzausten Haaren, die Arme in die Luft gerissen und beobachte die vorbeiziehende Landschaft. Alle paar Sekunden tippe ich Chrissy an oder sie mich, weil man wieder irgendwas unfassbares gesehen hat, was der andere doch unbedingt auch sehen sollte. Ich fühle mich so weit weg von allem Daheim, so weit weg von Bachelorarbeit, grauen Wänden, Schnee und Kälte. Nur einer einzigen Liebe zurück in Deutschland fühle ich mich auch hier nah, weil the absence is only physical, love.

Lisa dreht sich zu uns um, versucht sich irgendwie die unkontrollierbar umherschwirrenden langen Haare, aus dem Gesicht zu halten und brüllt: „Was gibt es schöneres als das Leben?“

Chrissy und ich schreien beide irgend etwas zustimmendes, Sean grist in den Rückspiegel.

Was gibt es schöneres, als das Leben?