Als ich achtzehn wurde und mein Leben aus A Day to Remember, meinem Musiker-Freund mit der coolen Band und Wasserstoffperoxid bestand lernte ich meine Freundin Chrissy kennen. Christina ist meine erste und einzige Freundin, die ich durch’s Internet kennen und lieben gelernt habe. Leider wohnte sie damals noch in Aschaffenburg und besuchte mich nur ein paar mal im Jahr, dafür aber immer eine ganze Woche am Stück. Sie lebte schon damals vegetarisch, zwischendurch sogar ein paar Jahre vegan. Im Gegensatz zu mir – ich aß jeden Mittag Leberkas in der Schule, Mama machte die beste Bolognese und Omi den leckersten Braten – gab’s mal kein Fleisch zu Mittag wurde ich richtig grumpy. Ein Gericht ohne Fleisch war kein Genuss. Mir war allerdings immer bewusst, dass ich ein totes Tier vor mir liegen habe. Ich liebte Schweine, Kühe und Hühner – auch abseits von meinem Teller – und trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen auf Fleisch zu verzichten.

Mit einer Ausnahme: Wenn Christina mich besuchte. Meine Mutter lehrte mich eine gute Gastgeberin zu sein, also bereiteten wir uns jedes mal wieder auf ihren Besuch vor: Mama kaufte fleischlose Pasteten, wir suchten leckere Rezepte oder ließen uns auch mal von Chrissy bekochen. Und an einem Sonntagabend, als sie wieder abreiste fiel mir auf, dass ich eine Woche lang kein Fleisch gegessen hatte – ohne es gemerkt zu haben. Ohne es vermisst zu haben. Also beschloss ich, von nun an dabei zu bleiben. Den Tieren zuliebe, weil ich sie in Zukunft lieber nur noch streicheln anstatt essen wollte.

Die ersten Wochen schlich ich mich manchmal Nachts zum Kühlschrank und stibitzte ein Stück Schinken; warum ich schlich weiß ich auch nicht, der einzigen den ich betrog war ja ich selbst. Ich erzählte niemandem davon aus Angst es sowieso nicht durchziehen zu können (so bin ich leider, bleibe selten bei einer Sache die ich mir vornehme). Am Schlimmsten aber war es in der Schule: Mein Gott, ich liebe Leberkassemmeln – und kaufte mir doch das Käsebrot, kaute es missmutig und mied den Geruch von Fleisch aller Art um nicht in Versuchung zu geraten. Eigentlich ernährte ich mich zu dieser Zeit ausschließlich von Nudeln mit Tomatensoße, was besseres fiel mir nicht ein. Ich bin auch heute noch erstaunt darüber, dass ich das damals so durchgezogen habe. Ich dachte mir immer, ein paar Jahre, irgendwann ess’ ich auch wieder Fleisch. Nur ein paar Jahre. Die Tatsache, dass sich die fleischlose Ernährung nur auf eine bestimmte Zeit begrenzte machte es irgendwie leichter. Heute könnte ich mir nicht mehr vorstellen jemals wieder Fleisch zu essen – der Zug ist abgefahren. Aber damals war es leichter eine Leberkassemmel am Ende des Tunnels zu sehen.

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Zwei Jahre später reichte mir das nicht mehr. Eier sind grausam. Milch ist grausam. Ich wollte vegan leben. Mein Umfeld verdrehte die Augen, versuchte es mir auszureden, es sei ja total bescheuert, was würde ich denn schon ändern. Ich zog in meine erste eigene Wohnung und wurde somit schlagartig mit einem Fass Ernst des Lebens übergossen: Miete, Strom, Gas, Internet, Bahnkosten, Studiengebühren – und nur einen 400€-Job. Trotzdem lief ich zum nächsten Alnatura, kaufte Reismilch, Sahne-Ersatz, machte mich im Netz schlau und quetschte Chrissy aus. Ich fuhr aufs Southside und packte vegetarische Ravioli ein – blöd nur, dass auch da spuren von Ei enthalten sind. Also hergeschenkt und nichts gegessen. Am zweiten Tag aber lief ich so lang über das Gelände bis ich einen Stand fand, der mir versichern konnte dass dieses und jenes Gericht absolut vegan sei – musste also nicht verhungern. Einen Monat lang lief das ganz gut, dann ging mir das Geld aus. Und der Ansporn. Letztendlich scheiterte ich aber auch – so blöd das klingt – an der Schokolade. Goddammit ich liebe Vollmilchschokolade. Vielleicht hätte ich es geschafft, wäre ich noch mehr in diesen Lebensstil eingetaucht. Hätte mich mehr damit beschäftigt, wie man auch billig vegan leben kann, am Besten ohne großen Zeitaufwand, immer etwas dabei für zwischendurch. Aber mir verging Zeit, Geld und Muße. Also lebte ich weiter vegetarisch – mein Umfeld dankte es mir.

Ich bin kein „böser Vegetarier“, war ich nie. Ich habe 19 Jahre meines Lebens Fleisch gegessen, wie kann ich dann jemanden verurteilen, der es tut? Essen ist eine wunderbare Sache, ich selbst weiß das nur all zu gut. Ich möchte die zweitschönste Nebensache der Welt niemandem vermiesen. Wenn man mich abseits der Mahlzeiten danach fragt und diskutieren will bin ich gern dazu bereit auch mal meine Beweggründe zu erklären – aber nicht während dem Essen selbst. Ich eröffne kein Gespräch mit „HEY, LOOK AT ME, I’M A VEGGIE!“, meckere nicht wenn ich „vergessen“ werde sondern gebe mich mit dem zufrieden was ich bekomme. Und wenn’s mal wieder nur Beilagen sind.
ABER – und nun Obacht, es wird ein bisschen gemeckert:
Ich verurteile niemanden aber werde am laufenden Band verurteilt. Ich stehe im McDonalds, bestelle den Veggie-Burger und krieg ein „Oh Gott bist du Vegetarier?“ von schräg hinten zu hören. Wenn ich sage „Ja.“ geht’s los: „Waaas? Warum? Fleisch ist SO lecker! Das schmeckt doch nicht dieses Gemüse-Dings! Warum bist du Vegetarier? Isst du dann auch keinen Fisch? Aber Milch schon oder was, is ja voll inkonsequent!“ Danke, denke ich mir und beiße rein. Am liebsten möchte derjenige dann auch noch diskutieren – ich aber nicht. Ich will meinen Burger genießen.
Diese Szene umgedreht: Jemand bestellt sich einen Whopper. Niemals würde ich hingehen, mein Gesicht verzerren und „EEWWW, bist du ‚n Fleischfresser? Is ja voll widerlich ey, totes Tier!“ rufen. Wer bin ich denn? Ich finde es schlichtweg unhöflich. Jeder soll das machen, was er für Richtig hält. Ich halte es für richtig kein Fleisch zu essen – muss aber nicht ständig den Moralapostel spielen.

Verurteilt zu werden ist ein ekelhaftes Gefühl. Noch ekelhafter wird es, wenn man selbst der Meinung ist der Gegenüber hätte dazu absolut kein Recht – weil er selbst auf nichts verzichtet. Ich habe mich schon öfter mit Veganern unterhalten, die mir sagten ich sei inkonsequent. Was ich drauf antworte? „Stimmt, das bin ich. Ich habe es versucht und nicht geschafft.“ Von jemandem, der weiß, wie es ist auf Fleisch oder sogar mehr an Genussmitteln im Leben zu verzichten, lass ich mir so etwas gern sagen. Es ist okay.
Von jemandem allerdings, der gerade neben mir einen Doppelwhopper isst möchte ich so etwas ganz einfach nicht hören – weil derjenige keine Ahnung hat.

Meine Eltern habe mir mal gesagt, dass es eigentlich nicht schlecht war, dass ich Vegetarier geworden bin. Dadurch aßen auch sie weniger Fleisch – nicht mehr täglich, sondern nur ein paar mal die Woche. Sogar mein Bruder und mein Mitbewohner verbrachten ein ganzes Jahr als Vegetarier – ohne dass ich irgendjemanden jemals darum gebeten habe. Einfach so, als Selbstversuch.

Warum ich euch all das erzähle?

Obwohl ich „nur“ auf Fleisch verzichte, obwohl ich Lederschuhe trage und obwohl ich Käse esse halte ich mich für einen guten Menschen. Ich bin der Ansicht, dass jeder Mensch auf dieser Welt etwas Gutes zur Gesellschaft beitragen sollte – und das tue ich. Nicht voll und ganz, ich bin nicht perfekt, aber wer ist das schon. Ich kaufe bei H&M, trage wieder Leder, trinke mal ein Bier und rauche ab und zu eine Zigarette. Ich tue das, was ich tun kann: Ich gehe regelmäßig Blutspenden (und habe schon viele dazu gebracht mit mir zu gehen), bin Organ- und Knochenmarkspender, spende an einen Tierschutzverein, habe eine Zeit lang regelmäßig Plasma gespendet (bis ich aufgrund meines Eisenwertes nicht mehr durfte) und esse eben kein Fleisch.

Ich wünschte mir manchmal ich könnte das alles. Vegan essen, vegan leben, keine Kinderarbeit unterstützen, den Regenwald beschützen… aber dafür bin ich viel zu sehr Konsumopfer, und das gebe ich auch offen und ehrlich zu. Dafür liebe ich Ziegenkäse und schöne Kleidung viel zu sehr. Aber macht mich das zu einem schlechten Menschen? Es ist nicht so als ob ich es nicht wollen würde – und versuche stets mich zu bessern. Meinen Klamotten-Konsum habe ich bewusst zurückgeschraubt: Lieber mal ein hochwertigeres Teil als zu viel schlecht verarbeiteter China-Kram. Und hier sind wir wieder beim Thema Leder: Meine Vagabonds trage ich seit Monaten fast täglich, ohne Abnutzungsspuren. Vor ein paar Wochen habe ich insgesamt drei Paar nicht-Leder Stiefeletten in die Tonne geschmissen, weil sie nicht mehr tragbar waren. Gefallen hätten sie mir allerdings schon noch. Noch schlimmer ist es bei Taschen: Abgekratztes, fledderndes PU… und stinken tun die Dinger teilweise, örgh.

Ich bewundere jeden, der all das schafft, wie zum Beispiel Leni. Ich habe großen Respekt vor jedem meiner Leser, der auf all das verzichten kann. Und hoffe, dass ihr mich auch weiterhin lieb habt – mit Vegetarier-Fauxpas und der H&M-Jeggins.

meinfleischEin Foto, dass im ersten Semester entstand. “Gemüse ist mein Fleisch”

 


 

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